76 Die Ereignisse an der Westfront im dritten Kriegshalbjahr
witters oder das Tosen der Meeresbrandung anzuhören war. Auf einer Strecke von
dreißig Kilometern wurde der Boden von den einschlagenden Geschossen buchstäblich um
gepflügt, Bäume wurden entwurzelt, ganze Waldstücke verschwanden vom Boden, Trüm
merhaufen bezeichneten die ehemaligen Dorfstätten. Metertiese Befestigungsanlagen gehen
unter diesem tobenden Donner zugrunde. Tiefe Löcher, hochaufgetürmtes Erdreich,
Reihen muldenförmiger Vertiefungen, das blieb von den Zufahrtsstraßen und von der
monatelangen Arbeit der Befestigungen. Nach oberflächlicher Berechnung gingen an
einem Tage 180000 bis 200000 Schuß aus die Abschnitte der einzelnen Divistonen
nieder. Dichte, dunkle Wolken lagerten gespenstisch über der ganzen Gegend, ein Ge
misch von Erd- und Kreidestaub und dem Rauche der platzenden Geschosse.
In dem Höllenlärm, in dem fast undurchdringlichen Dunst ohne Deckung, notdürftig
geschützt durch aufgewühltes Erdreich oder Geschoßtrichter, knieten und lagen die deutschen
Beobachtungsposten und warteten aus den erlösenden feindlichen Angriff. Und unter der
Erde sechs und mehr Meter tief warteten die Verteidiger, stunden-, tagelang, eng
aneinander geschmiegt, ohne Licht, oft ohne Nahrung, in der ununterbrochenen Gefahr
des Verschüttetwerdens auf das Signal, das sie endlich, endlich nach oben ruft zum
offenen ehrlichen Kampf. Am 24. September morgens sendet der französische Führer
Erkundungsabteilungen aus, die feststellen sollen, ob das Feuer aus den Tausenden von
französischen Geschützen bereits seine Arbeit getan und den Weg für die französische In
fanterie gesäubert hat. Da sich ergab, daß die Deutschen überall noch aus dem Posten
waren, überschütten die französischen Geschütze nochmals 24 Stunden lang die deutschen
Linien mit ihrem Eisenhagel. Am 25. September in der Früh schwillt das feindliche
Feuer plötzlich zu der Stärke an, „die vordem außerhalb des menschlichen Vorstellungs
vermögens gelegen hat". Das Ohr ist nicht mehr fähig, die verschiedenen Eindrücke zu
unterscheiden. Ein Laut, ein einziger, dröhnender, nicht endender Laut liegt über den
Stellungen, ohne auszuklingen. Rheinländer, Sachsen, Westfalen, fünf Divisionen gegen
dreißig stehen diesem Orkane gegenüber.
Während eine undurchdringliche Wolke von Staub, Rauch und aufspritzendem Erd
reich die deutschen Stellungen umhüllt, den Beobachtern jede Sicht in das, was beim
Gegner vorgeht, entzieht, beginnt die Bereitstellung der Sturmtruppen in den franzö
sischen Gräben. Lautlos räumt die Territorialmannschaft ihre Grabenstellungen und
tritt in die Nebengräben um die großen durchlaufenden Linien der Kampfstellung und die
zahllosen, von weit rückwärts heranführenden Annäherungswege für den Strom der 22,
für den ersten Ansturm bereitgestellten Divisionen frei zu machen. Darnach sollten die
alten Besatzungen wieder ihre Stellungen einnehmen und so den Rückhalt bilden für
die siegreich vorwärtsdringenden Kameraden. Fast gleichmäßig waren die 22 Divisionen
auf den 30 Kilometer breiten Durchbruchsstreifen verteilt; nur an den vier großen im
Angriffsabschnitt nach Norden führenden Straßen Ville-sur-Tourbe—Cernay—Mon-
thois, Suippes—Perthes—Tahure, Suippes—Souain—Somme-Py und St. Hilaire-le-
Grand—St. Souplet, die den Verkehr bis dicht hinter die vordersten deutschen Linien
vermittelten und nach dem Durchbruch das rascheste Vorwärtskommen ermöglicht hätten,
sind die Angriffstruppen etwas enger zusammengeschoben worden.
Die Gruppierung der einzelnen Divisionen war überall dieselbe: Drei Regimenter
nebeneinander eingesetzt, bildeten die eigentliche Sturmgruppe. Jedes Regiment gliederte
sich wieder in drei Bataillonswellen, deren dichte Schützenlinien auf etwa fünfzig Meter
Abstand einander folgen sollten. Die erste Welle waren Handgranatenwerfer, denen
die Aufgabe zufiel, kurzerhand den letzten Widerstand in den Gräben zu brechen. Unter
stützt sollten sie durch die sogenannten „Nettoyeurs" werden, die die Gräben zu
säubern, alle Stellungen des Feindes nach verborgenen Unterständen zu durchsuchen,