Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

64 D i e Ereignisse an der We st front im dritten Kriegshalbjahr 
können noch schießen, zum Gewehrladen habe ich keine Zeit mehr, ich reiße den Revolver 
heraus und schieße drei in den Dreck, sie strecken die Arme in die Luft und plumpsen 
hin. Da klemmt sich die Hülse der vierten Patrone im Patronenauswerfer. Ich sehe 
nach rechts, ob wenigstens die andern schießen, da sind die Engländer schon in dem an 
der Stelle noch nicht ganz zerstörten Graben. Das Maschinengewehr im zweiten Zug 
schießt nicht mehr. Da gebe ich es auf. Mit den vier Mann (darunter ein Unter 
offizier und mein Bursche) lause ich zurück- Doch die Engländer sind schon vor mir 
links — nach vorn gesehen also rechts — wo sie eingebrochen waren. Ich laufe also 
halbrechts und von da durch den noch freien Laufgraben zurück. Jetzt schon rechts und 
links hinter mir lausen die Engländer; im zweiten Zug waren sie auch durchgekommen 
oder im dritten Zuge. Endlich macht der Feind eine kleine Pause um sich zu verschnaufen. 
Ich komme mit dem Unteroffizier und einem Mann in das hinter der Stellung liegende 
Dorf. Ich lege mich hin, der Unteroffizier auch. Da kommen endlich Verstärkungen 
an, gottlob! Man gießt mir fünf Gläser Wasser in den Hals, die bleiben nicht ohne Wirkung." 
Wie in einem anderen, gleichfalls in der „Kölnischen Zeitung" (7. X. 15) veröffent 
lichten Feldpostbriefe eines Militärarztes festgestellt wird, stürmten, bezeichnend für die 
englische Heeresverwaltung, hinter der ersten und zweiten Gaswolke nur betrunkene Far 
bige gegen die deutschen Stellungen; dann erst über dieses Kanonenfutter hinweg seien 
die maskengeschützten weißen Engländer angestürmt. 
Noch am Abend des 25. September 1915 begannen die deutschen Gegenangriffe. „Noch nie 
habe ich", heißt es in dem Brief des Arztes weiter, „unsere Soldaten mit solcher Begeisterung 
von einem Sturmangriff und von ihren Führern sprechen hören. Wohl gab es Kompanien, 
die nach dem Sturm von Unteroffizieren geführt werden mußten. Doch waren die Verluste 
was Tote und Schwerverwundete angeht, nicht so schwer, die Gräben waren wiedergenommen 
und mancher Kamerad, der gefangen oder verwundet noch darinsaß, wurde befreit. Nun 
kam der Verwundetenstrom rückwärts in die Lazarette. Ganz im Gegensatz zu Neuve Chapelle 
und den Maikämpfen zum Glück wenig Schwerverwundete. In Trupps zu 20 und 30 
kamen sie an, einer stützte den andern, meistens brachten sie stolz ein paar gefangene, 
verwundete Engländer mit. So ging es den ganzen Samstag und Sonntag, Tag und 
Nacht, mehrere Hundert. Und wir hatten Arbeit, nicht zu knapp, aber auch hohe Be 
friedigung, so daß man stolz aus seinen Berus ist und zugleich dankbar, daß man arbeiten 
darf und kann. Was kann man, wenn gutes Verbandmaterial vorhanden und man 
weiß, worauf es ankommt, den Verwundeten Schmerzen sparen durch gute Schienen 
und Verbände. Dazu trotz allen Jammers ringsum eine gewisse gehobene Stimmung 
aus dankbarem Herzen heraus. Es wäre ja auch traurig, wenn wir im Lazarett nur 
Blut und Wunden und Sterben sehen sollten. Gestern kam ein Lazarettzug, der uns 
123 nicht marschfähige Verwundete abnahm. Von 12 bis 4 72 Uhr nachts wurde er 
beladen; man muß unsere Sanitäter oft bewundern, wie sie so tapfer durchhalten." 
„Aus den Abzeichen und Aussagen der Gefangenen konnte die außerordentliche Ueber- 
macht festgestellt werden, gegen die unsere Division gekämpft hatte," schreibt der Kriegs 
berichterstatter Herm. Katsch in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" (22. X. 15). 
„Wenn man dazu den geradezu ungeheueren Munitionsverbrauch und die schweren 
blutigen Verluste des Feindes hinzurechnet und die nach allgemein festgestellten Beob 
achtungen als ganz außerordentlich zu bezeichnende Bravour der Engländer, so muß man 
der Leistung einer schwachen Division die allergrößte Bewunderung zollen. In zertrüm 
merten Gräben, erschüttert durch ein tolles Trommelfeuer, -das vier Tage und vier 
Nächte anhielt, in einem dicken, undurchdringlichen Qualm, mit brennenden Augen, 
schmerzendem Atem, einen sechsfach überlegenen Gegner an einer Stelle zwei Kilometer 
vorwärtskommen lassen, das ist ein Sieg. Nicht das, was der Feind erreichte."
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.