Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

62 Die Ereignisse an der Westfront im dritten Kriegshalbjahr 
sie zerteilen könnte, in Fetzen zerreißen? Ein Schnellfeuer fährt in den Qualm, mit 
Handgranaten wird er zerlöchert, die Artillerie legt Sperrfeuer hinter ihn. Aber lang 
sam, unaufhaltsam quillt eine neue weiße Wolke heran, ein kosmischer Urweltnebel, 
geisterhaft schleiernd, giftig und schwer. Ein wunderliches Zischen ertönt von fern, 
kommt näher, bedrohlich nah, eine schwarze Wolke schiebt sich vor und hinter ihr, noch 
mitten in ihr fast, in Kapuzen vermummt, der anstürmende Feind! 
Ein rasendes Feuer sprüht ihm entgegen, und die erste Sturmwelle versinkt vor 
unseren zusammengeschossenen Hindernissen. Aber schon ist die zweite Sturmwelle heran, 
die dritte folgt ihr und drängt nach. Die englischen Granaten sind plötzlich weit weg 
— man merkt gar nicht darauf. Ein jeder schießt, was er nur herausbringen kann 
aus dem heißen Lauf. Auch diese beiden Schützenlinien schmelzen hin, aber eine vierte 
kommt in raschem Sturmschritt daher. Das springt, duckt sich, klettert, hüpft. Schon 
ist unser Graben an einzelnen Stellen überrannt. 
Und nun spüren unsere Leute die erschlaffende Wirkung der Gase, sie sind am Um 
sinken, auch unverwundet, die Gräben sind voll toter und verwundeter Kameraden. 
Immer kleiner werden die Inseln des Widerstandes, immer schwächer das Feuer, bis 
es den Engländern gelungen ist, auch die Letzten zu umzingeln. Und weiter vor drängt 
in raschem Stoße der Feind. Es gelingt ihm, im dichten Rauchnebel bis an unsere 
vordersten Batterien heranzukommen, wo die Kanoniere, in der Dämmerung ungewiß, 
wo Feind und Freund sei, das Feuer eingestellt haben. Nun sehen sie den Feind vor 
sich, zehn Schritte entfernt. Da hilft nur noch die Faust. Von diesen Geschützen ist 
kein Mann mehr gesehen worden. 
Aber mit dem kecken Vorgehen der Engländer war es nun zu Ende. Ein paar hundert 
Meter Tiefe hatten sie in breiter Grabenfront gewonnen, vor unserer zweiten Linie hieß 
es halt! Hier hatten die frisch eingeschobenen Reserven die Ueberraschung des Gas 
angriffes schon überwunden. Sie stürmten vor, und der Feind wich trotz seiner Ueber- 
zahl. Engländer, Schotten, Inder — sie konnten auch die eben gewonnenen Gräben nicht 
halten. Die deutsche Welle flutete vor, unaufhaltsam, bis in unsere alte Stellung hinein. 
Da lagen sie im unbarmherzigen Lichte des Mittags, die 8 bis 10000 Toten des Feindes 
an diesem ersten Tage der großen Gasschlacht in Flandern. 
In der Nacht vom 25. zum 26. September holten unsere Truppen zum Gegenstoß 
aus. Das Hohenzollernwerk kam damals zum größeren Teile wieder in unseren Besitz, 
ebenso die sogenannte Kiesgrube, eine steinbruchartige Anlage vor Hulluch, und hier war 
es auch, wo schlesische Reserve den englischen General Bruce mit seinem Stabe, der im 
Unterstand von der Mühsal des Tages ausruhen wollte, im Handumdrehen gefangen 
nahm. 
Am Morgen des 26. September setzten die Engländer abermals zum Durchbruch an, 
ließen aber bald davon ab, um erst Reserven heranzuziehen. Gegen Mittag ließen sie 
wieder ihre sämtlichen verfügbaren Batterien spielen. Kurz daraus sah man sie in hellen 
Scharen, in ungefähr acht Wellen hintereinander, ungestüm vorbrechen. Auf die Hilfe 
des Gases hatten sie also diesmal verzichtet. Gleichzeitig mit den Schwarmlinien fuhren 
auf dem Hügel östlich von Loos ein paar leichte Batterien im Galopp aus. Sogar 
Brückenmaterial zum Ueberwinden der Schützengräben führten sie aus den Protzen mit. 
Unsere Beobachter trauten ihren Augen kaum. Und nicht lange so sprengten zwei Regimenter 
englischer Gardedragoner aus dem Talkessel von Loos hervor. Waren die Leute be 
sessen? Wollten sie Schützengräben attackieren? Was focht sie an, plötzlich eine offene 
Feldschlacht zu wagen? „Wäre es geglückt, so wäre es eine besondere sportliche Leistung 
geworden," meinte später der gefangene General Bruce. Unsere Kanoniere aber schossen 
wie die Sprühteusel. Bessere Ziele konnte es ja für sie gar nicht geben! Die Rohre
	        
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