Die englischen Arbeiterbewegungen
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ihr Einkommen zu verbessern versuchte. „Das Problem, das zu lösen war/ so wird der
„Frankfurter Zeitung" geschrieben, „betraf nicht allein eine Erhöhung der Stunden- und
Stücklöhne, sondern es ging viel mehr in die Tiefe: es handelte sich darum, daß der Nutzen
aus der intensiven Arbeit und der Abschaffung der Bestimmungen über den Arbeiter
schutz nicht ausschließlich dem Kapital zugute käme und daß andererseits der Staat als
Vertreter der Gesamtheit der Steuerzahler nicht durch übermäßige Ansprüche von Fabrik
herren und Arbeitern geschädigt würde, sobald er die Fabriken von Kriegsmaterial über
nahm. Selbst ein kapitalistisches Organ wie die „Times" erkannte in einer längeren
Ausführung am 23. März 1915 die Notwendigkeit an, den Unternehmergewinn zu be
schränken. Und auch Lord Kitchener bekannte sich in einer Rede am 15. März 1915 im
Oberhause zu dieser Meinung mit den Worten: „Die Arbeiter können mit vollem Recht
verlangen, daß ihre patriotische Tätigkeit nicht dazu diene» soll, den Nutzen der Direk
toren und Aktionäre der großen Werke aufzublasen. Wir arbeiten deshalb ein System
aus, wonach die wichtigsten Rüstungswerke unter die Kontrolle der Regierung kommen
und hoffen, daß die Arbeiter, die regelmäßig schaffen, einiges von dem Nutzen ernten
sollen, welchen der Krieg automatisch über diese großen Gesellschaften bringt."
Aber trotz der gesetzgeberischen Tätigkeit der Regierung (vgl. S. 307 u. 314), hörten die
Ausstände nicht auf. Nach der Beendigung des Streiks der Bergarbeiter in Jorkshire am
11. Februar 1915, denen die Arbeitgeber alle Forderungen für die Dauer des Krieges
bewilligten, folgten Lohnbewegungen der Londoner Dock-Arbeiter, der Straßenbahner
und dann die großen Ausstände in den Maschinenfabriken und Schiffsbauwerften des
Clydegebiets, die wegen der Unterbrechung in der Herstellung des Kriegsmaterials, der
Regierung besonders ungelegen kamen. Lloyd George eilte nach Bangor und wußte die
11 000 streikenden Arbeiter durch eine kluge und eindringliche Rede zur Wiederaufnahme
der Arbeit am 4. März 1915 zu bewegen. Kaum war die Ruhe in den Distrikten des
Clyde einigermaßen wieder hergestellt, als neue Arbeiterbewegungen im Westen Schott
lands ausbrachen, die nur durch größere Zugeständnisse eingedämmt werden konnten.
Am 21. März 1915 war, wie die „Berlingske Tidende" meldet, nach zweitägigen Verhand
lungen zwischen den Führern der englischen Gewerkschaften und Vertretern verschiedener
Ministerien eine Vereinbarung erzielt worden, in der den Arbeitern anempfohlen wurde, in
keinem Fall einen Streik während der Kriegsdauer anzufangen, sondern alle Zwistig
keiten aus Lohn- und Arbeitsverhältnissen in friedlicher Weise durch Verhandlungen vor
dem Schiedsgericht beizulegen. Außerdem sollten die Vereine von den bislang durch
geführten Unterschieden zwischen fachmännischen und ungelernten Arbeitern absehen. Zur
Beilegung entstehender Streitigkeiten wurde ein Ausschuß eingesetzt mit einer gleichen Zahl
von Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer.
Trotzdem konnte die Absicht des englischen Bergarbeiterverbandes, auf seinem Ende
April 1915 tagenden Kongreß mit Streikdrohungen erneute Lohnerhöhungen durchzusetzen,
nur mit Mühe durch Eingreifen des Ministerpräsidenten Asquith und des Präsidenten des
Handelsamts dadurch zunächst verhindert werden, daß sich die Bergarbeiter zu Be
sprechungen mit den Bergwerksbesitzern entschlossen und sich verschiedene Distrikte statt
mit der verlangten Lohnerhöhung von 20 % mit einer solchen von 15 % zufrieden gaben.
In den Tagen des 18. und 19. Mai hatte der Streik der Londoner Straßenbahner
seinen Höhepunkt erreicht, konnte aber am 2. Juni 1915 beendigt werden; ebenso ließen
sich drohende Ausstände in der Baumwollindustrie Mitte Juni dadurch vermeiden, daß die
Regierung die Arbeiter aufforderte ihre Forderungen einer Regierungskommisfion zu
unterbreiten und unterdessen die Arbeit fortzusetzen.
Aber trotz allen Entgegenkommens, trotz aller patriotischen Bußpredigten reisender
Minister und trotz aller krampfhaften Anstrengungen, den sozialen Frieden mit gesetz