Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Die englischen Arbeiterbewegungen 
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ihr Einkommen zu verbessern versuchte. „Das Problem, das zu lösen war/ so wird der 
„Frankfurter Zeitung" geschrieben, „betraf nicht allein eine Erhöhung der Stunden- und 
Stücklöhne, sondern es ging viel mehr in die Tiefe: es handelte sich darum, daß der Nutzen 
aus der intensiven Arbeit und der Abschaffung der Bestimmungen über den Arbeiter 
schutz nicht ausschließlich dem Kapital zugute käme und daß andererseits der Staat als 
Vertreter der Gesamtheit der Steuerzahler nicht durch übermäßige Ansprüche von Fabrik 
herren und Arbeitern geschädigt würde, sobald er die Fabriken von Kriegsmaterial über 
nahm. Selbst ein kapitalistisches Organ wie die „Times" erkannte in einer längeren 
Ausführung am 23. März 1915 die Notwendigkeit an, den Unternehmergewinn zu be 
schränken. Und auch Lord Kitchener bekannte sich in einer Rede am 15. März 1915 im 
Oberhause zu dieser Meinung mit den Worten: „Die Arbeiter können mit vollem Recht 
verlangen, daß ihre patriotische Tätigkeit nicht dazu diene» soll, den Nutzen der Direk 
toren und Aktionäre der großen Werke aufzublasen. Wir arbeiten deshalb ein System 
aus, wonach die wichtigsten Rüstungswerke unter die Kontrolle der Regierung kommen 
und hoffen, daß die Arbeiter, die regelmäßig schaffen, einiges von dem Nutzen ernten 
sollen, welchen der Krieg automatisch über diese großen Gesellschaften bringt." 
Aber trotz der gesetzgeberischen Tätigkeit der Regierung (vgl. S. 307 u. 314), hörten die 
Ausstände nicht auf. Nach der Beendigung des Streiks der Bergarbeiter in Jorkshire am 
11. Februar 1915, denen die Arbeitgeber alle Forderungen für die Dauer des Krieges 
bewilligten, folgten Lohnbewegungen der Londoner Dock-Arbeiter, der Straßenbahner 
und dann die großen Ausstände in den Maschinenfabriken und Schiffsbauwerften des 
Clydegebiets, die wegen der Unterbrechung in der Herstellung des Kriegsmaterials, der 
Regierung besonders ungelegen kamen. Lloyd George eilte nach Bangor und wußte die 
11 000 streikenden Arbeiter durch eine kluge und eindringliche Rede zur Wiederaufnahme 
der Arbeit am 4. März 1915 zu bewegen. Kaum war die Ruhe in den Distrikten des 
Clyde einigermaßen wieder hergestellt, als neue Arbeiterbewegungen im Westen Schott 
lands ausbrachen, die nur durch größere Zugeständnisse eingedämmt werden konnten. 
Am 21. März 1915 war, wie die „Berlingske Tidende" meldet, nach zweitägigen Verhand 
lungen zwischen den Führern der englischen Gewerkschaften und Vertretern verschiedener 
Ministerien eine Vereinbarung erzielt worden, in der den Arbeitern anempfohlen wurde, in 
keinem Fall einen Streik während der Kriegsdauer anzufangen, sondern alle Zwistig 
keiten aus Lohn- und Arbeitsverhältnissen in friedlicher Weise durch Verhandlungen vor 
dem Schiedsgericht beizulegen. Außerdem sollten die Vereine von den bislang durch 
geführten Unterschieden zwischen fachmännischen und ungelernten Arbeitern absehen. Zur 
Beilegung entstehender Streitigkeiten wurde ein Ausschuß eingesetzt mit einer gleichen Zahl 
von Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. 
Trotzdem konnte die Absicht des englischen Bergarbeiterverbandes, auf seinem Ende 
April 1915 tagenden Kongreß mit Streikdrohungen erneute Lohnerhöhungen durchzusetzen, 
nur mit Mühe durch Eingreifen des Ministerpräsidenten Asquith und des Präsidenten des 
Handelsamts dadurch zunächst verhindert werden, daß sich die Bergarbeiter zu Be 
sprechungen mit den Bergwerksbesitzern entschlossen und sich verschiedene Distrikte statt 
mit der verlangten Lohnerhöhung von 20 % mit einer solchen von 15 % zufrieden gaben. 
In den Tagen des 18. und 19. Mai hatte der Streik der Londoner Straßenbahner 
seinen Höhepunkt erreicht, konnte aber am 2. Juni 1915 beendigt werden; ebenso ließen 
sich drohende Ausstände in der Baumwollindustrie Mitte Juni dadurch vermeiden, daß die 
Regierung die Arbeiter aufforderte ihre Forderungen einer Regierungskommisfion zu 
unterbreiten und unterdessen die Arbeit fortzusetzen. 
Aber trotz allen Entgegenkommens, trotz aller patriotischen Bußpredigten reisender 
Minister und trotz aller krampfhaften Anstrengungen, den sozialen Frieden mit gesetz
	        
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