Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

308 Großbritannien während des zweiten Kriegshalbjahres 
Im Oberhaus hielt der Kriegsminister Lord Kitchener am 17. März 1915 eine Rede 
über die Kriegslage, in der er zunächst die hervorragenden Leistungen der englischen, 
indischen und kanadischen Truppen rühmend hervorhob und die allgemeine Kriegslage 
auf allen Kriegsschauplätzen als günstig für die Entente-Mächte darstellte. Dann sprach 
er von den hinter den Fronten zu lösenden Aufgaben, in erster Linie von den Heeres 
lieserungen und begründete das Gesetz über die Verstaatlichung von Fabriken zur Her 
stellung von Kriegsmaterial, das darauf auch vom Oberhaus angenommen wurde. 
Beide Häuser des Parlaments haben stch dann bis zum 14. April 1915 vertagt. 
Die Tagung des Parlaments vom 14. April bis 21. Mai 1915 
Der wachsende Unwille der Opposition über den Gang des Krieges, die Unzufriedenheit 
über die Maßnahmen Churchills betr. die Behandlung der gefangen genommenen 
deutschen 17-Bo ot-Mannschaften (vgl. V, S. 248 f.) und die erwachende Kritik der Liberalen 
konnten immer weniger zum Schweigen gebracht werden. Auch nicht durch die Aus 
führungen des Schatzkanzlers Lloyd George am 6. Mai, in denen er die Organisation 
Lord Kitcheners pries, betonte, daß England nach acht Monaten Krieg eine Armee 
besitze, die sechsmal größer sei als zu Anfang, und die Munitionsproduktion auch für die 
Verbündeten genüge, da sie entsprechend dem überraschenden Verbrauch und nach der Er 
nennung von George Macauley Booth zum Präsidenten der mit der Durchführung des 
Gesetzes vom 9. März (vgl. S. 307) beauftragten Kommission, ungeheuer gestiegen sei. 
Obwohl stch Bonar Law von den Ausführungen Lloyd Georges beftiedigt erklärte, 
tadelte er doch ebenso wie Austen Chamberlain die Rede Asquiths in Newcastle (vgl. 
S. 302) und kritisierte die Langsamkeit der Entschlüsse der Regierung, die Nation zu 
mobilisieren. England besitze eine größere geschäftliche Organisationssähigkeit als andere 
Länder, mache aber den geringsten Gebrauch davon. Als dann auch noch die zweite 
Lesung der Getränkebill, der Steuerpläne Lloyd Georges auf Bier, Wein und Spiri 
tuosen zur Verminderung des übermäßigen, auch die Munitionssabrikation behindernden 
Genusses schwerer Getränke, vertagt werden mußte, empfanden die liberalen Abgeordneten 
den Zwischenfall als eine Niederlage der Regierung; bereits am 12. Mai fragte der Ab 
geordnete Booth den Ministerpräsidenten, ob es nicht wünschenswert sei, Führer anderer 
Parteien in das Kabinett aufzunehmen. Asquith erwiderte, der Schritt sei nicht erwogen, 
werde auch schwerlich allgemeine Zustimmung finden. 
Inzwischen verstummten die Angriffe auf Churchill nicht und auch die Forderung 
nach der allgemeinen Wehrpflicht wurde immer dringender. Schon am 22. April 
1915 hatte der unionistische Abgeordnete Tickler die Regierung gefragt, ob sie beabsichtige, 
die Dienstpflicht einzuführen, worauf Lloyd George antwortete, die Regierung sei der 
Ansicht, der Krieg könne auch nach Einführung der Dienstpflicht nicht mit mehr Erfolg 
geführt werden, zumal der Kriegsminister mit der Wirkung des Freiwilligensystems zu 
frieden sei. Später, in der letzten Sitzung der Tagung, traten Sir Herbert (liberal), 
Wason (liberal) und Griffith (liberal) abermals energisch für die Vorbereitungen der all 
gemeinen Wehrpflicht ein, und betonten, es sei jetzt eine überwältigende Mehrheit auf 
beiden Seiten des Hauses dafür. Staatssekretär Tennant antwortete, er sei nicht er 
mächtigt, eine Antwort über die Politik der Regierung in dieser Hinsicht zu geben. Das 
Haus müsse wohl überlegen, ehe es sich zu einer Politik entschließe, die der britischen 
Ueberzeugung und dem Charakter ihres Genius fremd sei. 
Aus den Verhandlungen des Oberhauses in dieser Session ist eine von Lord 
Creme, als Vertreter der Regierung, in der Sitzung vom 5. Mai 1915 gegebenen Dar 
legung über die Grundzüge des englischen Zensurwesens von Interesse, die
	        
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