Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

250 Die österreichisch-ungarische Monarchie während des zweiten Kriegshalbjahres 
der wirklichen Nagaika oder von Drangsalierung jeder Art, Verhaftung, Einkerkerung 
und Verschickung, sind ja", wie der „Kölnischen Zeitung" Ende Juli 1915 aus Wien 
geschrieben wurde, „die beiden virtuos gehandhabten Mittel der kosakischen Kulturbringer 
und wer nicht innerlich stark genug ist, um die Peitsche mit stoischer Gelassenheit und 
Verachtung zu ertragen (und es gehört wohl sehr viel innerliche Stärke dazu, die nicht 
ein jeder besitzt), greift eben doch lieber nach dem Zuckerbrot. Es kommt hinzu, daß 
die zehnmonatige Russenherrschaft in den Augen der allzu vielen Schwachmütigen zu 
einer dauernden wurde, da alle Versuche der österreichisch-ungarischen Streitmacht, sie 
zu brechen, so lange und so oft gescheitert waren und überhaupt die öffentliche Meinung 
über den wahren Stand der Dinge im Ungewissen gehalten wurde. Ein Grund mehr 
für die Schwachen, beizeiten ihren Frieden mit dem Eroberer zu machen und bei ihm 
Unterschlupf zu suchen. So hatte denn tatsächlich ein nicht kleiner Teil der städtischen 
Bevölkerung, namentlich Lembergs, seinen Anschluß an die Russen schon vollzogen. Eine 
sehr bedenkliche Rolle spielten in diesem Zersetzungsprozeß die polnischen Frauen bis in 
gesellschaftlich gehobene Kreise hinauf. 
Vielleicht noch verderblicher ist aber die Russenherrschaft auf dem Lande gewesen. 
Im Gegensatz zu ihrem Benehmen im bedauernswerten Ostpreußen, wo sie alles, Herren- 
hos wie Bauernhof und selbst Kate, ausraubten, niederbrannten und verwüsteten, haben 
die Russen in Galizien den Gegensatz zwischen Großgrundbesitz und Juden einer- wie 
Bauernschaft anderseits ausgenutzt, um diese für sich einzusangen. An der Verwüstung 
und Beraubung der Herrensitze und Häuser der Juden haben sie die Bauern teilnehmen 
lassen, haben ihnen geraubte Sachen, die sie nicht wegschleppen konnten, für billiges Geld 
verkauft oder gar geschenkt, ihnen Vieh aus den herrschaftlichen Ställen zugewiesen, ja, 
ihnen Becker der Großgrundbesitzer versprochen, oder schon zugeteilt. Der Anreiz, diesen 
Lockungen nachzugeben, war bei diesen allerdings sehr bedrückten, kümmerlich dahinlebenden 
Landbewohnern groß, besonders wo auch noch Nationalitätengegensatz mitspielte, und 
so sind viele, die nicht genug österreichisches Zugehörigkeitsgefühl oder nicht genug Scharf 
blick hatten, die Vergänglichkeit der Russenherrschast zu erkennen, den Verführern in die 
Netze gegangen und haben sich damit nach den Gesetzen der österreichischen Verwaltung 
gleich einer ganzen Reihe schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Als die Russen bei 
ihrem Abzüge die ganze männliche Bevölkerung zwischen 17 und 50 Jahren mitnahmen, 
werden viele aus Furcht vor der kommenden Strafe willig mitgegangen sein. An eine 
Rückkehr dieser Leute ist kaum zu denken. Aber ihre Angehörigen sind zum Teil zurück 
geblieben; was soll aus denen werden? Und jedenfalls wird die nach den Gesetzen 
erforderliche Herstellung des wirtschaftlichen status quo ante unter der zurückgebliebenen 
bäuerlichen Bevölkerung nicht eben begeisternd wirken." 
Dieser Teil der Aufgaben des neuen Statthalters von Galizien, die Wiedereinführung 
der alten österreichischen Ordnung an Stelle größter Freiheiten und leichten, wenn auch 
schmachvollen Verdienstes für alle, die sich dem Regiment der Eroberer beugten, dürste 
fast noch schwieriger sein als der wirtschaftliche Wiederaufbau (vgl. auch S. 260). 
Die Flüchtlingssürsorge 
Sektionsrat Dr. A. v. Marquet, der an der Spitze jenes Departements des Ministeriums 
des Innern, dem die Flüchtlingsfürsorge anvertraut ist, steht, hat im zweiten Maiheft der 
„Oesterreichischen Rundschau" 1915 einen Aufsatz über die getroffenen Maßnahmen ver 
öffentlicht, dem wir folgendes entnehmen: 
„Die Flüchtlinge sind auf die verschiedenen Kronländer ausgeteilt worden: Neben den 
Barackenniederlassungen (Gmünd, Niederösterreich, für etwa 30000 ruthenische; Wolss- 
berg und St. Andrä, Kärnten, für etwa 10000 ruthenische; Leibnitz, Steiermark, für
	        
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