Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

222 Rußland während des zweiten Kriegshalbjahres 
Ein Teil der Menge schwenkte nun nach den oberen Handelsreihen ab (einer gedeckten 
Geschäftsstraße) und begann die Verwüstung der dortigen Geschästsläden. Zuerst wurden 
die Läden von Einem & Zindel geplündert. Niemand aus der Menge eignete sich 
etwas aus den zerstörten Geschäften an. Die Waren wurden nur aus die Straße ge 
worfen und sofort zerstört. Diejenigen, die etwas verschleppen wollten, hinderte man 
daran, nahm ihnen das entwendete weg und vernichtete es. Bald begannen große 
Massen Volkes nun von allen Seiten herbeizuströmen; die Menge wuchs rasch und 
ungeheuerlich an. 
Die Polizei, die offenbar von den beginnenden Unruhen völlig überrascht wurde, war 
der nach vielen Tausenden zählenden Menge gegenüber ohnmächtig, die Menge aber er 
ledigte zunächst die deutschen Geschäfte im Kitaigorod (dem alten Handelszentrum 
Moskaus) und ging dann zum Teil nach dem Lubjanka-Platz, zum Teil nach der 
Petrowka und dem Kusnezkij Most (zwei der elegantesten Geschäftsstraßen der Stadt). 
Die Pogrome wurden nunmehr gleichzeitig an mehreren Stellen vorgenommen. 
Zunächst unterwarf sich die Menge willig den Anordnungen der Anführer und verhielt 
sich den Geschäften gegenüber, die nicht deutschen und österreichischen Untertanen gehörten, 
mit großer Vorsicht. Sie zog von einem Magazin zum andern, die in dem Verzeichnis 
standen, das einer der Anführer in den Händen hielt. Das blieb aber so nur zu Be 
ginn des Pogroms, als die Menge noch verhältnismäßig gering war; als sie dann aber 
ins Ungeheuerliche anschwoll und sich in mehrere Gruppen teilte, da verloren die An 
führer ihre Gewalt. Besonders trug dazu bei das Erscheinen Betrunkener, die in aus 
geplünderten Weinmagazinen geistige Getränke gefunden hatten. 
Nun begann eine diebische Plünderung der verwüsteten Magazine. Weiber und Halb 
wüchsige schleppten die Waren, die sie an den Stätten des Pogroms fanden, nach allen 
Seiten fort. Als die Dunkelheit einbrach, sah man sogar anständig gekleidete Personen auf 
der Straße mit geraubten Gegenständen. Jetzt kümmerte sich die Menge auch nicht mehr 
darum, wem das zur Plünderung ausersehene Magazin gehörte. Ein irgendwie unrussischer 
Name des Geschäftsinhabers reichte schon hin, um den Laden der Zerstörung preis 
zugeben. Zahlreiche russische Untertanen kamen auf diese Weise zu Schaden. 
In der Nacht erreichten die Ausschreitungen ihren Höhepunkt. An mehreren Stellen 
der Stadt brachen Brände aus, da die geplünderten Läden angesteckt wurden. Die Feuer 
wehr konnte die Brände nicht bemeistern, die zum Teil bis zum Morgen dauerten. 
In der Dunkelheit konnte die Menge vollends nicht mehr unterscheiden, wem ein zur 
Plünderung bestimmtes Magazin gehörte. Es gab auch keine Möglichkeit mehr, sich 
darüber zu vergewissern, da um 8 Uhr abends alle Geschäfte geschlossen wurden. Erst um 
3 Uhr nachts begann der Pogrom nachzulassen und um 5 Uhr früh hörte er völlig aus." 
Zu dieser offiziell gefärbten Mitteilung ist ergänzend zu berichten, daß der Pogrom 
verabredungsgemäß drei Tage hätte dauern und sich auch auf Petersburg und andere 
Städte hätte ausdehnen sollen; allein die Behörden sahen sich später doch veranlaßt, den 
Schwung der erhitzten Banden etwas einzuschränken. Denn nach der „Vossischen Zeitung" 
entfalteten, wie in einem Geheimbericht der Moskauer Höchstkommandierenden an den 
russischen Minister des Innern berichtet wurde, Arbeiter und Studenten rote Fahnen 
und riefen: „Nieder mit den Volksmördern und dem blutigen Krieg!" Mehrere Polizisten 
wurden verwundet. Revolutionäre Lieder wurden gesungen. Die Menge brüllte: „Nieder 
mit dem Zarismus! Gebt uns Brot und Frieden!" In der Nacht erfolgten 150 
Verhaftungen. Aus beschlagnahmten Papieren war ersichtlich, daß namentlich die 
Gouvernements Charkow und Odessa, sowie der Kaukasus revolutioniert werden sollten. 
Zu Beginn der Ausschreitungen aber soll die Polizei nicht nur gleichgültig geblieben 
sein, vielmehr mit den Häuptlingen des Gesindels in den Polizeizirkeln Beratungen
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.