Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Maßnahmen des Zaren und der Regierung 211 
öffentlicht worden ist. In ergreifender Weise wird darin die Gewaltpolitik des russischen 
Koloffes gegen das kleine, wehrlose finnische Staatswesen geschildert. Das Dokument 
ist," so schreibt die „Vossische Zeitung", „ein empörender Beweis für die Brutalität und 
die Barbarei der slawischen Hauptmacht in Europa und zugleich eine Warnung für die 
kleineren Staaten, die dem russischen Reich unmittelbar benachbart sind." 
In der Folgezeit ist wenig mehr über die finnischen Zustände bekannt geworden. Nur 
die überraschende Reise des Zaren am 10. und 11. März 1915 nach Helsingfors hat die 
finnische Frage etwas ausleben lassen. Ueber den Zweck des Besuches liefen verschiedene 
Gerüchte um, von einer Besichtigung der im Hafen von Helsingfors liegenden russischen 
Ostseeflotte bis zur Flucht des Zaren vor der in Petersburg und Umgebung grassierenden 
Cholera- und Flecktyphusgefahr. Andere Meldungen brachten den Besuch jedoch in Zu 
sammenhang mit dem Gerücht über ein bevorstehendes kaiserliches Manifest zur mili 
tärischen Einberufung der finnischen Mannschaft, die mit Auslösung des national 
finnischen Heeres in den 90 er Jahren von allem Militärdienst befreit war. 
Maßnahmen gegen die Litauer 
Die etwa vier Millionen Litauer in Rußland, die in den Gouvernements Kowno, 
Wilna und dem nördlichsten Grodno, im Gouvernement Suwalki, im polnischen Liv 
land im Kreise Rossttten und in den Städten Kurlands wohnen, haben schon seit 18 Jahren 
eine starke nationale Entwickelung durchgemacht, die sich aus das feindseligste gegen Polen 
richtete. „Zudem hatte die russische Regierung nach Möglichkeit die Litauer vor den 
Polen materiell bevorzugt, wenngleich sie," nach den Ausführungen Paul Rohrbachs 
in der „Frankfurter Zeitung", „sie andererseits durch unerhörten Druck russifizieren 
wollte. Das ist vollkommen mißglückt, trotzdem die Regierung sogar den Gebrauch des 
Litauischen als Schriftsprache mit schwersten Strafen belegte. Die Bedrückung hat den 
Litauer nur mit hartem Hasse gegen alles Russische erfüllt und das Litauertum inner 
lich von den Polen wie auch von den Russen getrennt. Ebenso besteht ein starker feind 
licher Gegensatz von Alters her, trotz der nahen Verwandtschaft des Stammes und der 
Sprache, zwischen Letten und Litauern. Auch Letten und Esten lieben sich nicht. Wäh 
rend aber früher nur die Letten und Esten dem Einfluß der deutschen Kultur unter 
lagen, scheinen jetzt auch die Litauer, und zwar in bewußter und freundschaftlicher Weise, 
Anschluß nach Westen, an das deutsche Wesen zu suchen." 
Maßnahmen gegen die Polen 
Als der Krieg ausbrach, versuchte die russische Regierung die Polen durch Ver 
sprechungen und kleineren Zugeständnisse für sich zu gewinnen. Zunächst erließ der Ober 
kommandierende Großfürst Nikolai Nikolajewitsch am 14. August 1914 den bekannten 
Aufruf, aus dem viele Polen die Verheißung einer Autonomie für ihr Land heraus 
lasen (vgl. II, S. 73). Die Praxis allerdings brachte den Polen zunächst nichts außer 
platonischen Kundgebungen, an der sich namentlich die liberale russische „Gesellschaft" 
beteiligte, während die Behörden gelegentlich sogar diese Kundgebungen hinderten, nament 
lich wenn sie einen ausgesprochen polnisch-nationalen Anstrich hatten. 
Monate darnach erschien endlich am Osterfest 1915 der erste Erlaß, der den Polen 
in Rußland etwas Greifbares bot: die Städteordnung. Das russische Königreich Polen, 
in dem eine Millionenstadt (Warschau), eine Großindustrielle Stadt von einer halben 
Million Einwohner (Lodz) und andere bedeutende städtische Siedelungen liegen, war 
nämlich bisher — wohl das einzige Beispiel in Europa — jeder Art von städtischer 
Selbstverwaltung beraubt. Amtliche russische Kommentare ließen durchblicken, daß da 
mit schon die „Autonomie" verwirklicht sei, deren Verheißung die Polen aus der Kund-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.