Volltext: Der Völkerkrieg Band 6 (6 / 1916)

Maßnahmen des Zaren und der Regierung 209 
entsprungen, und mancher „echt russische Mann" hat sicher in den langen Friedensläuften 
im Stillen die Gelegenheit herbeigesehnt, mit dem verhaßten Njemez abzurechnen. Es 
ist schlimmer gekommen, als man dachte. Die Bevölkerung allerdings hat sich, soweit man 
den sich zum Teil widersprechenden Nachrichten entnehmen kann, im großen und ganzen 
gegen die Deutschen nicht schlecht benommen. Dagegen ist die russische Regierung gegen 
die im Lande lebenden Deutschen geradezu brutal vorgegangen." 
Ueber die Schließung der deutschen Schulen und die Einschränkungen, 
die dem Handel mit den Angehörigen feindlicher Staaten durch einen kaiserlichen 
Ukas vom 2. Dezember 1914 auferlegt wurden, ist bereits früher berichtet worden (vgl. 
IV, S. 251,252). Die Frist für die damals schon vorgesehene Liquidierung sämtlicher 
Geschäfte und Gewerbeunternehmungen feindlicher Staatsangehöriger, die durch einen 
Erlaß vom 11. Januar 1915 Gesetz wurde und bis 1. April (a. St.) 1915 abgeschlossen 
sein sollte, ist Mitte März bis zum 1. Juni (a. St.) hinausgeschoben worden. Bereits 
am 12. Juni erhielten die örtlichen Behörden den Befehl, am 14. Juni 1915 sämtliche 
Geschäfts- und Gewerbeunternehmungen feindlicher Staatsangehöriger unbedingt 
und ausnahmslos zu schließen. Die Verordnung des Ministerrates, feindliche 
Staatsangehörige aus städtischen und privaten Kreditgenossenschaften auszuschließen, ist 
gleichfalls vom Zaren bestätigt worden. 
Wie alle diese Verordnungen, ist auch das Gesetz vom 15. Februar 1915 (vgl. IV, 
S. 252) über den Erwerb und Besitz von Grundeigentum durch Unter 
tanen feindlicher Staaten, das der Minister des Innern, Maklakow, auf Grund 
des Artikels 87 des Reichsgrundgesetzes einbrachte, hauptsächlich gegen die Deutschen in 
Rußland gerichtet. Es will deren zum Teil sehr wertvollen Jmmobilienbesitz treffen 
und läßt klar die Absicht erkennen, nicht das kriegführende Deutsche Reich, sondern das 
Deutschtum als solches zu schädigen. Ein weiterer Erlaß des russischen Ministers des 
Innern soll dann, nach Stockholmer Meldungen der „Vosstschen Zeitung", Mitte März 
1915 angeordnet haben, daß die russischen Kolonisten deutscher Abstammung von nun ab 
nicht mehr in geschlossenen Dörfern zusammenwohnen dürfen; sie sollen auch keine eigene 
Verwaltung mehr haben. Sie sind so viel als möglich unter die russische Landbevölkerung 
zu verteilen, „damit ihr schädlicher deutscher Einfluß gebrochen werde". 
Ueber die schmachvolle Vergewaltigung der deutschen Siedelungen in Rußland schreibt 
Dr. Paul Rohrbach nach der „Vossischen Zeitung" folgendes: „Beim Beginn des Krieges 
rechnete man, daß es in Russisch-Polen etwa 400000 deutsche Bauern gab, in der west 
lichen Ukraine (namentlich Wolhynien und Bessarabien) ebenfalls 400000, in den süd 
russischen Steppen 600000, an der unteren Wolga 650000, im Kaukasus 50000, in 
Sibirien, Mittelasien und im Petersburger Gouvernement noch etwa 50000 — im 
ganzen also mehr als zwei Millionen deutscher Bauern. Ueber den Umfang ihres 
Grundbesitzes besaß man bisher keine sicheren Angaben. Obgleich sie russische Unter 
tanen sind, haben sich diese Kolonisten trotz aller Versuche der Regierung, sie zu russi- 
fizieren, ganz deutsch erhalten — man darf sie durchaus nicht mit den halbrussifizierten 
Deutsch-Russen in den Städten des inneren Rußlands verwechseln. Infolgedessen hat 
die russische Regierung in den letzten Jahren durch allerlei administrative Maßregeln 
und Schikanen die Vergrößerung des Grundbesitzes der Kolonisten zu verhindern gesucht, 
da vom Standpunkt der russischen Regierung die Germanisierung der südrussischen Land 
wirtschaft in der Tat eine bedenkliche Erscheinung war. Dann kam das Gesetz vom 
15. Februar 1915 (vgl. auch S. 194). Da aber die Regierung auf jede Weise versuchte, dm 
Verkauf unmöglich zu machen, da keine Bank ein Darlehen gab, um ein deutsches Bauern- 
gut anzukaufen, mußten alle deutschen Bauernhöfe im Dezember 1915 mit einem Schlage 
unter den Hammer gebracht werden und sind wahrscheinlich zu einem Spottpreise los- 
«ruttkrlig. IX. i4
	        
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