Die große Offensive nördlich der unteren Weichsel bis zum Fall von Warschau 115
vertrieben hatte. Ebenso sah es an den anderen Orten der beiden Einbruchstellen aus.
Das gefürchtete Kastenwäldchen nördlich von Wengra war zu einem Haufen zersplitterter
Maste zusammengeschossen, die starken Höhenstellungen nordwestlich von Prasznqsz waren
vollständig zerstört. Im Lauf des Vormittags brach die Sonne durch und beschien die
siegesfroh vorwärtseilenden deutschen Truppen. Die zogen über die drohenden Höhen
hinweg, die vor ihnen lagen, und ließen dem Feinde kaum irgendwo Zeit, sich in der
starken zweiten Verteidigungslinie festzusetzen. So fielen manche sorgfältig vorbereiteten
hervorragenden Stellungen fast ohne Kamps in unsere Hände. Am selben Tage noch
kamen die unermüdlichen Kämpfer bis zur nächsten Linie, ja stürmten sie zum Teil schon
in der Nacht. Hier ist die Eroberung der Schlüsselstellung von Gorne, die nach den
früheren Erfahrungen als uneinnehmbar galt, besonders zu nennen. Mehr, als man
hoffen durfte, hatten mit einem Schlage die Treffsicherheit der Artillerie und das Un
gestüm der Infanterie erreicht: binnen 24 Stunden war Prasznysz von beiden Seiten
flankiert und nicht mehr zu halten.
Am 14. Juli ging fast ununterbrochen ein feiner Regen nieder. Der Durchzug durch
das ausgebrannte, völlig menschenleere Prasznysz war melancholisch genug, aber unsere
Soldaten klappten wohlgemut die Zange zu und vereinigten sich südlich davon zu einer
Ramme, die nun die neue feindliche Stellung, die letzte geschlossene vor der Narew-Linie,
mitten entzweibrach. Die Russen hatten alle Zwischenlinien aufgegeben und schleunigst
die seit Monaten vorbereitete, außerordentlich starke Verteidigungsstellung Wysogrod—
Ciechanow—Zielona—Szczuki—Krasnosielc besetzt, die wieder aus mehreren Reihen
hintereinander bestand. Unsere Truppen mochten zunächst im Zweifel sein, ob sie hier
noch stärkeren Widerstand zu erwarten hätten.
Der 15. Juli gab eine ernste Antwort. Als nach kräftiger Artillerievorbereitung die
Schützenlinien vorzugehen begannen, empfing sie überall ein heftiges Gewehr- und Maschinen
gewehrfeuer. Der Feind setzte offenbar alles daran, das letzte Bollwerk bis zum Aeußersten
zu verteidigen. So ging es an den meisten Stellen nur langsam vorwärts, und öfters
mußte die für das Wirkungsschießen der Artillerie angesetzte Zeit verlängert werden.
Trotz des hellen, sonnigen Wetters, das eine gute Beobachtung zuließ, war der Erfolg
nicht mehr so durchschlagend wie am ersten Tage. Gerade in der Mitte der Haupt
durchbruchsfront aber lagen Truppen, deren Draufgängerlust ganz besonders ausgebildet
worden ist. Die eine Divifion hatte als Angriffsziel die Höhen südlich und südöstlich
von Zielona und war schon am Vormittage stellenweise bis auf 300 Meter an den Feind
herangekommen. Die Garderegimenter aus dem rechten Flügel, die sehr bedeutende An
strengungen hinter sich hatten, sollten eigentlich das Vorgehen der Nachbarn abwarten
— da meldeten sie um V-2 Uhr: Sie hielten die feindliche Stellung für sturmreif und
würden in einer halben Stunde angreifen. Als dies die Truppen des linken Flügels
hörten, wollten sie natürlich nicht zurückstehen, und so trat die Division Punkt 2 Uhr
zum Sturm an. Es war ein gewagtes Unternehmen, diesen Stoß ohne die heran
beorderten Verstärkungen zu unternehmen. Sein Gelingen ist dem hervorragenden Zu
sammenwirken von Infanterie und schwerer Artillerie zu verdanken. Im vollen Ver
trauen auf die Treffsicherheit der „schwarzen" Brüder sprangen die Schützen durch
das hohe Kornfeld vor, sobald eine Lage Granaten vor ihnen eingeschlagen war.
Durch verabredete Zeichen gaben sie ihre neue Linie zu erkennen. Dann legte die
Artillerie ihre Geschoßgarbe 100 Meter weiter vorwärts, und unter ihrem Schirm
stürzten jene in die frischen Granatlöcher. So ging es ununterbrochen vorwärts.
, Weder das russische Schnellfeuer noch das doppelte Drahthindernis vermochte
den Sturm auszuhalten. Als das deutsche Hurra rollte, liefen die Russen, verblüfft
durch solche Elementargewalt, in hellen Hausen davon. Um 2 1 / 2 Uhr erhielt der Divisions-