Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

112 Die Ereignisse an der Ostfront nach der Wiedereroberung von Przemysl 
die Russen eine starke Stellung, die uns am Weitermarsch verhinderte. Erst nach 
anderthalb Tagen, als unsere Artillerie die Russen unbarmherzig heimgesucht hatte, 
streckte die ganze Linie am Hellen Nachmittag die Waffen. Denn durch unsere Artillerie 
und Maschinengewehre war ihnen der Rückweg völlig abgeschnitten worden, so daß 
ihnen nichts übrig blieb, als Tod oder Gefangennahme. Am Abend war die ganze 
Stellung unser mit der Beute von über 1000 Gefangenen, zwei Geschützen und zehn 
Maschinengewehren. 
Dann kam der Tag, da wir Mitau erreichen sollten. Um 4 Uhr morgens wurde 
abmarschiert, und wir liefen den ganzen Tag in heißer Sonnenglut bis fünf Kilo 
meter vor Mitau. Vor der Stadt, ungefähr fünf Kilometer davor, hatten die Russen eine 
starke Stellung mit vier Reihen Drahtgeflecht verlassen, da sie in der Flanke angegriffen 
wurden; sie zogen sich hinter die Stadt zurück und besetzten einen Schützengraben mit der 
rechten Flanke am Bahnhof, mit der linken Flanke an dem 50 Meter breiten Fluß 
Aa. Von dieser Stellung aus kam jetzt Feuer. Der Tag im Marsch (35 Kilometer) 
war uns heiß und hart bekommen und nun, am späten Abend, da wir vor Müdigkeit 
und Schlaf uns kaum mehr auf den Füßen halten konnten, sollten wir noch angreifen. 
Doch die Sache sollte sich „drehen". Unsere Artillerie hatte durchs Scherenfernrohr 
die Lage beobachtet, und sofort setzte eine furchtbare Kanonade aus Dutzenden von Feuer 
schlünden und von drei Maschinengewehren ein. Die russische Artillerie erhielt von der 
unseren mehrere Volltreffer und ließ alles im Stich; was noch lebte, flüchtete. Unterdes 
kam die Nachricht, daß eine Division von Nordwesten her in die Stadt eingedrungen 
sei. Auch habe unsere Reiterei die Stadt durchzogen. So blieben wir die Nacht im 
Walde und sahen, wie die Stadt an allen Ecken brannte. Am andern Morgen setzten 
wir über den Fluß mit Kähnen zur Sicherung der jenseitigen Ufer." 
Die Bevölkerung von Mitau, die schwer unter der Russenherrschaft gelitten hatte, atmete 
auf. Wie groß ihre Freude war, zeigt ein in der „Frankfurter Zeitung" veröffentlichter 
Brief einer in Mitau wohnenden Dame vom 2. August 1915, in dem es heißt: 
„Gestern um 5 Uhr nachmittags ist Mitau in deutsche Hände übergegangen. Wir 
wurden erlöst von unserer Not und Pein. Es war die höchste Zeit, daß die Befreiung 
kam, noch ein Tag später, und wenige von uns wären am Leben geblieben. In der 
Nacht vom Samstag auf Sonntag zog die Polizei und der größte Teil des Militärs 
ab; hier blieben nur ein Trupp Kosaken und ein Teil eines sibirischen Regiments, die 
den Auftrag hatten, alles, was wertvoll in der Stadt war, zu zerstören und zu ver 
nichten. Rundum wurden die Fabriken in die Luft gesprengt, die Holzplätze angezündet. 
Von allen Seiten wogte ein Feuermeer, niemand durfte löschen. Die Soldaten erbrachen 
die Läden, plünderten, waren völlig betrunken. Da tönte um Vs 2 Uhr mittag zwischen 
all dem Krachen der gesprengten Häuser das Sausen und Pfeifen der deutschen Kanonen 
kugeln. Mit welcher Seligkeit begrüßten wir diese Töne, es war ein Einhalt getan dem 
barbarischen Wüten! Die Retter nahten! Ein paar Stunden saßen wir still auf der 
Diele in unserem Hause, bei geschlossenen Läden unter scharfem Geknatter der Geschosse, 
aber jetzt nicht mehr in Verzweiflung, sondern im Vertrauen auf die nahe Hilfe. Gott 
hat uns gnädig beschirmt, wir blieben unversehrt. In mehreren Häusern unserer Nach 
barschaft fielen Geschosse in die Häuser hinein. Um 5 Uhr wurde es still auf den Straßen, 
man wagte hinauszugehen und sah die deutschen Pickelhauben, von allen Seiten zogen 
sie in die Stadt, so stramm und frisch, als kämen sie vom Spaziergang und nicht von 
so schwerer Arbeit. Den ganzen Abend war es ein Gewoge in den Straßen, überall 
sah man frohe Gesichter und es gab ein fröhliches Sichwiederfinden mit alten Bekannten. 
Die Stadt ist voll von deutschen Familien, die vom Lande hierher geflüchtet sind, Guts 
besitzer, Pastoren, Aerzte. Noch geht man wie im Traum umher. Man kann es gar
	        
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