Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

Zusammenfassende Darstellung von Anfang Juni bis Anfang August 1915 7 
sagen mußte, daß sie sich eigentlich um die Rettung einer wertlos gewordenen Artillerie 
bemühten. Von ihren japanischen Geschützen waren viele nicht mehr intakt. Die Rohre 
sprangen oder bauschten sich aus. Das Verhängnis wollte, daß sich die Minderwertig 
keit des japanischen Materials gerade in der Entscheidungsschlacht am gefährlichsten zeigte. 
Auch die amerikanische Munition, die sie erwarteten, traf nicht ein, und die japanischen 
Granaten, die japanischen Schrapnells explodierten nicht. Unaufhörlich, fast von Stunde 
zu Stunde gab es neue Verwirrung innerhalb der größten Truppenverbände. Die 
Division, die der Nachbardivision in der Not behilflich war, war im nächsten Augen 
blick ganz abgedrängt. Sie rannte über kurz oder lang mit Truppenkorps zusammen, 
denen es ebenso erging. 
Die Befehlshaber verloren nicht bloß die Uebersicht und den Zusammenhang, sie er 
kannten ihre Offiziere nicht, hatten plötzlich fremde Offiziere mit den Mannschaften von 
Dutzenden durcheinandergewürfelter Regimenter. Wo es Straßen gab, verwirrten sich 
die Kolonnen vorbefohlener und wieder zurückgeschickter, dann endlich wieder in ganz 
anderer Richtung vorgeschobener Trains- und Munitionszüge ratlos. Die dritte Schlacht 
bei Lemberg war mit den Durchbrüchen mehr als verloren, denn nunmehr setzte das 
Chaos ein. Alles war Ueberraschung für die Russen, alles Zerschmetterung." 
Die Russen waren durch die Einnahme Lembergs der Frucht zehnmonatiger Anstrengung 
fast vollständig beraubt worden. Ihre Rolle in Galizien war ausgespielt. In etwas 
über sieben Wochen hatten die Verbündeten sechs große Schlachten gewonnen, dem 
Feinde über 40000 Quadratkilometer galizischen und russisch-polnischen Gebietes entrissen, 
etwa 1000 Offiziere und über 400000 Mann gefangen, 350 Geschütze und ungefähr 
800 Maschinengewehre erbeutet. Damit hatten die Verbündeten jenen Raum zurück 
gewonnen, aus dem die erste Offensive bei Kriegsbeginn seitens der österreichisch-unga 
rischen Heeresleitung eingeleitet worden war. Nahezu ein Jahr harter Kämpfe lag da 
zwischen. In seinem Verlaus war die erdrückende Uebermacht des Feindes gebrochen, 
somit jenes Element ausgeschaltet worden, an dem die ersten Operationen trotz anfäng 
licher Erfolge und trotz allen Heldenmutes der Truppen scheitern mußten. Aber diese 
harten, opser- und ehrenvollen, jedoch notwendigen und unvermeidlichen Kämpfe hatten die 
Grundlagen für den großen Umschwung geschaffen, der im Frühjahrsseldzug solch glän 
zenden Ausdruck fand und die Möglichkeit eröffnete, den anfänglichen erfolgversprechenden 
Kriegsplan in analoger Weise, aber unter ungleich günstigeren Voraussetzungen, erneuert 
ins Werk zu setzen. 
Aber auch auf die übrige Front blieb die Niederlage der Russen in Galizien nicht 
ohne Einfluß. Jene Kräfte, die sich bisher im San-Weichsel-Winkel so zäh behauptet 
hatten, traten am 22. Juni abends den Rückzug an, und die russische Front in Rus 
sisch-Polen, die infolge der Schlachten bei Gorlice—Tarnow und Sanok—Rzeszow von 
der Nida in das Bergland von Kieler zurückgewichen war, eilte gleichfalls hinter die 
Kamienna zurück. Nur an der Nordostsront am Narew und in den Gouvernements 
Kurland und Kowno haben sich die Kampfverhältnisse, die für die erste Hälfte des Monats 
Juni schon früher geschildert worden sind (vgl. VI, S. 44 f.), nicht verändert. Abge 
sehen von einigen offensiven Gefechten drehte sich die Kampfhandlung hauptsächlich darum, 
Vorstöße der Russen in das besetzte Gebiet abzuweisen, die mit der Absicht unternommen 
wurden, den Deutschen die Linie Riga—Dünaburg zu versperren und ihren Druck 
(südlich und nördlich Kowno) gegen Wilna zurückzuweisen. Auch längs der von den 
Russen verteidigten Flußlinie des Njemen—Bobr—Narew haben sich die deutschen 
Stellungen seit den Winterkämpfen nicht verschoben. Die deutschen Truppen wehrten 
jeden russischen Vorstoß ab, begnügten sich aber sonst damit, die Ostgrenze durch ihre 
Stellungen auf russischem Gebiet zu schützen.
	        
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