Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

2 Die Ereignisse an der Ostfront nach der Wiedereroberung von Przemysl 
bei sonst gleichen Verhältnissen — Stand zu halten. Er erlaubt also Kräfte zu sparen; 
in welch großem Maß unserer Heeresleitung dies durch den Stellungskrieg in Frank 
reich gelungen ist, läßt sich vorläufig erst ahnen. Der die Entscheidung Wollende dagegen 
wird versuchen, nachdem er einmal die feindliche Front durchbrochen hat, im Bewegungs 
krieg zu bleiben. Das kann er nur, wenn er durch die Energie seines Vorgehens, populär 
ausgedrückt, den Feind daran hindert, wieder eine glatte gerade Linie zu bilden. Denn in 
dem Moment, in dem dies dem Feind gelingt, geht der Stellungskrieg wieder von neuem an. 
Die Franzosen wollten zur Entlastung der Russen unsere Front durchbrechen. Ihre 
Versuche bei Arras und Loretto (vgl. VH, S. 102 bis 151) waren im Motiv dasselbe 
wie unser Angriff bei Gorlice. Nur der Erfolg war ein anderer, warum, soll hier nicht 
erörtert werden. Wir hatten jedenfalls in Frankreich gar keine andere Absicht, als den 
Bewegungskrieg nicht aufkommen zu lassen. Diese Absicht ist uns geglückt. Und das 
ist unser großer Erfolg. Währenddessen suchten unsere im Osten versammelten starken 
Kräfte den Russen den Bewegungskrieg aufzuzwingen, um zu einer Entscheidung zu ge 
langen. Die Russen wollten das verhindern, die Entscheidung hinausziehen und im 
Stellungskrieg beharren bis die Franzosen-Engländer den großen Erfolg errungen hätten. 
Das ist nicht gelungen, und dieser Mißerfolg unserer Feinde schadet erfreulicherweise 
ihrer wechselseitigen Sympathie. Wir aber erzwangen uns in den Schlachten von 
Gorlice—Tarnow durch den taktischen Durchbruch die operative Freiheit. Die gab uns 
als erstes Geschenk Przemysl und Lemberg und dann, und das ist das strategisch Wich 
tige, die Möglichkeit der großen Schwenkung nach Norden zwischen Bug und Weichsel. 
Nachdem diese Front nach Norden mit starken Kräften genommen war, mußte vor 
ihrem Druck die ganze russische Linie in Polen vernichtet werden, wenn nicht die oberste 
russische Führung durch rasches Zurückweichen ihrer Mitte und verzweifeltes Festhalten 
der linken Flanke, noch bevor es zu spät war, die Lage einigermaßen wieder ausglich. 
Die letzten Juliwochen zeigten uns dies strategische Spiel der Kräfte. Dazu kam aber 
noch das weite Vorschieben der nördlichen deutschen Heeresgruppen — eine weise 
Vorausberechnung — durch deren „Rechtsum-Machen" auch der riesige Druck aus die 
rechte russische Flanke ermöglicht wurde. Immer qualvoller und verzweifelter wurde 
der russische Widerstand gegen diese deutsche strategische Zange, immer rascher das Zurück 
fluten aus der bedrängten Mitte. Dabei gingen den Russen Werte aller Art verloren, 
Menschen, Material, Kanonen, Festungen, und — Prestige! Militärisches und politisches 
Prestige. Moralisches hatten sie nicht mehr viel zu verlieren. 
Mit einigem Entsetzen sahen Franzosen und Engländer diese deutsche Strategie. Denn 
sie selbst waren strategisch gebildet genug, um zu erkennen, daß dies Manöver zur Ge 
winnung operativer Freiheit sich nun bald bei ihnen wiederholen werde. Sie trösteten sich 
mit 1812 — das heißt, sie wollten die kritiklose Masse trösten. 1812 ist mit dieser 
Strategie gar nicht zu vergleichen. Die Offensivkraft Napoleons erlahmte an der Länge 
seiner Operationslinien; davor bewahrte uns die Technik und unsere vollendete Organi 
sation. Was bedeuten unserem Generalstab, unseren Nachrichtenmitteln, unseren Eisen 
bahnbaukompagnien und Lastkraftwagenparks ein paar hundert Kilometer Etappenlinie 
mehr oder weniger? Und dann war 1812 ein Krieg ausschließlich gegen Rußland. 
Rußland mußte durch eine im Vergleich zu den Operationsräumen sehr kleine Armee 
zum Frieden gezwungen werden. Heute liegen die Verhältnisse ganz anders. Kein Sieg 
Napoleons ist mit dem Erfolge zu vergleichen, den wir haben, wenn es uns gelingt, 
Rußland mit bescheidenen Kräften niederzuhalten und da mit Millionen aufzutreten, wo 
eine große Entscheidung, die schon nervös gewordenen Feinde gänzlich zermürbt. 
Historische Erinnerungen sind ganz treffliche Lehrmeister. Sie dürfen nur nicht falsch 
angewendet werden.
	        
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