Die Türkei während des zweiten
Kriegshalbiahres
Von Ende Januar bis Anfang August 1915
Fortsetzung von Band IV, Seiten 234 bis 240
Von der ersten Krtegstagung des türkischen
Parlaments
Die Kammer ist, nachdem sie das Budget, die Kriegsvorlagen und verschiedene andere
Gesetzesvorlagen angenommen hatte (vgl. IV, S. 238), durch ein Kaiserliches Jrade am
2. März 1915 auf den 28. September 1915 vertagt worden. In der Schlußsitzung
hielt der Kammerpräsident Halil Bey eine bedeutsame Rede, in der er zunächst betonte,
daß die von der Kammer an den Tag gelegte Einmütigkeit den künftigen Generationen
ein schönes Beispiel gebe, denn sie zeige, daß alle Spaltungen, alle ehrgeizigen Pläne
und politischen Gegnerschaften verschwinden, wenn das Vaterland in Gefahr ist. Der
Präsident erinnerte dann an seine früheren Ausführungen, daß die türkische Armee im
Balkankriege das Opfer unglücklicher Zufälle war, worüber man jedoch nicht verzagt zu
sein brauche. „Und heute," sagte der Präsident, „rechtfertigen die vier abgelaufenen
Kriegsmonate vollkommen meine damaligen Erklärungen. Die von unserer Armee be
wiesene heroische Tapferkeit erhöht das Vertrauen unserer Freunde und erregt das Er
staunen und die Wertschätzung unserer Feinde. Nach den Siegen der türkischen Armee
bei Köpriköi und der Flucht der Russen bis nach Sarykamisch haben sich die neuen
Kräfte, die von den Russen herangezogen wurden, angesichts der Macht der ottomanischen
Armee völlig erschöpft."
Der Präsident schilderte sodann, mit welchem Feuereifer die türkische Armee die aus
getrockneten Wüsten durchzog und, den Feind niederwerfend, bis an das Ostuser des
Suezkanals vordrang. Die türkischen Aufklärungsabteilungen überschritten unter dem Feuer
der feindlichen Schiffe und Befestigungen den Kanal, erreichten das Westufer und kehrten
sodann nach Erfüllung ihrer Aufgabe zurück. Der Präsident sprach die Ueberzeugung
aus, daß die „Armeebefreierin", die mit so großer Voraussicht die Vorbereitungen voll
endet habe, in nächster Zeit den entscheidenden Schlag werde führen können, um das
schöne und fruchtbare Aegypten von der Gewaltherrschaft des Feindes zu befreien. Auch
die Engländer würden aus dem Gebiete von Bassora hinweggefegt werden.
„Auf allen Fronten geschlagen, machten sich die Alliierten in ihrer Verzweiflung dann
daran, die Dardanellen anzugreifen. Es ist unwahrscheinlich, daß der Feind durch die
Meerengen durchdringen kann. Aber selbst wenn er durchdringt, so kann er sicher sein,
daß dieser sein Erfolg unsere Entschlossenheit nur vermehren wird. Der Feind soll
es nur wissen, daß hier der größte Teil unserer Armee konzentriert ist, und daß
Maßnahmen gegen jede Eventualität getroffen sind.
Der ganzen Welt sei es gesagt, daß wir entschlossen sind zu leben, nicht indem wir
im Staube kriechen, sondern indem wir kämpfen wie Löwen, nicht indem wir die Stirn
zu Boden senken, wie Feiglinge und Elende, sondern indem wir wie edle unabhängige
Nationen unser reines Haupt hoch tragen. Und selbst wenn wir unterliegen sollten,
werden wir erst sterben, nachdem wir dem Säbel der Tapferkeit, den uns Sultan Osman
vermacht hat, unseren Tribut gezollt haben. Von dieser Tribüne herab rufe ich: Wir
werden nicht sterben, wir werden leben! Unser Weg ist der Weg des ewigen Heils!