Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

176 Der türkische Krieg von Ende Februar bis Anfang August 1915 
Von der Nisamstraße her gab dieser Stimme eine noch gewaltigere, noch trotzigere 
gleichsam als Echo die Antwort: Tscha—awusch! . . . (Weintrauben!). 
Schweigen! ... Es war, als ob vor der Pracht dieser trotzigen, starken, gewaltigen 
Stimmen die Schöpfung voller Furcht für einen Augenblick erzitterte. Die Macht dieser 
beiden Stimmen gebot Berg und See und ließ sie in Schweigen sich hüllen. 
Tscha—awusch! . . . tschawusch! . . . 
Ich lief nach dem Fenster, das sich auf der Rückseite des Hauses befand. Der Wein 
traubenverkäufer war auf den Hügel gelangt. Am Wegerande stellte er seinen Korb 
auf einen Felsen. Die Hände schob er vorn hinein in den roten Gürtel an seiner Hüfte. 
Mit offener Brust, nackten, gestrafften Waden hielt er dort — die verkörperte Kraft. 
Mit den Blicken seiner großen Augen, die sich unter dicken Augenbrauen langsam und 
herrisch bewegten, schaute er gar tief aus die Wogen des Marmarameeres, auf die gegen 
überliegende Küste, auf das Felsgestein der geliebten, teuren Heimat, die mit ihrem 
blauen Himmel, ihrem azurfarbenen Meere, ihrem Silberschaum, ihrer Sonnenhelle 
einem blauäugigen, blondlockigen Mägdelein ähnelte. In den Geheimnissen, die in diesem 
Blicke ruhten, in der Klage, die in diesem Blicke lag, spiegelte sich der stolze Inhalt 
jenes Wortes: 
Allah, erklang mein Ruf, und zum Schwerte griff ich, 
Färbte mit rotem Blut mich, o Heimat, für dich! 
Von meinem Fenster aus betrachte ich voll Ehrerbietung und Bewunderung diese 
lebendige Festung; und ich sehe ihn als Rekruten — am Kopfe den »»gebügelten, troddel 
losen Fes mit dem rot» und blaubedruckten Tuche, an den Füßen die zerrissenen San 
dalen, auf dem Rücken den Lammfellrucksack — gleich einem Hammel hüpfen und 
springen, um in Reih und Glied zu bleiben, und zu dem großen Tore des Kriegs 
ministeriums eintreten. 
Aus dem Gebäude der Regierung, aus der Werkstatt des Krieges, in die du heute 
mit fahler Gesichtsfarbe, mit zerrissener Jacke eingetreten bist, bereit, dich für dein Vater 
land zu opfern, ziehst du morgen in neuer Tracht hinaus, im schön roten Fes, mit der 
Miene eines Herrschers. Dann wirst du, der Schwächling von heute, als starker Held 
erscheinen und die Plätze erzittern machen, die du betrittst. Sobald du den Zügel des 
Pferdes ergreifst, den Säbel ziehst, die Flinte auf die Schulter wirfst, das Bajonett auf- 
pflanzst, wirft du, der Bauer von heute, zum gefürchteten Soldaten und wirst die Rebellen 
zu Boden werfen. Wenn man dich beleidigt, während du dein Feld beackerst und dein 
Vieh auf die Weide treibst, dann wirst du — eben noch ein Lamm — als ein wilder 
Tiger erscheinen und die zermalmen, die dein Haus vernichten. Wenn man dich binnen 
eines Augenblickes so verändert sieht, dann glaubt man wohl, dieser ganze Körper sei 
einzig und allein geschaffen, um einen Soldatenrock zu tragen, diese harte Faust sei nur 
dazu da, die Waffe zu fassen, diese mächtige Stimme habe einzig die Aufgabe, Kommando 
worte erschallen zu lassen und diese breite Brust sei nur dazu bestimmt, als Schild zu dienen. 
Wenn ich sehe, wie du dich mit dieser Festigkeit, dieser Würde, dieser Majestät gürtest, 
während du in deinem Bataillon hart wie ein Stahlblock dahinschreitest, dann kann ich 
nicht anders: ich muß dich in mein Herz schließen, dich rühmen, dich lieben. 
Schon während du die reichliche und reine Milch einer starken Mutter schlürftest, 
machtest du dir einen stolzen Sinn, eine vornehme Würde, Trotz und Geduld, Gehorsam 
und Herrschsucht zu eigen, die Tugenden einer Rasse, die zum Herrschen geboren ist. 
Andere Völker lernen auf Schulen und Universitäten die Grundlagen der Herrschgewalt. 
Dich jedoch haben die großen schwarzen Augen der Mutter, des Vaters feurige Stimme, 
die geheimnisvolle Harmonie des Korans jene Eigenschaften gelehrt. 
Selbst in deinen zerrissenen Hosen entbehrst du nicht der Würde. Auch beherrscht
	        
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