Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

166 Italien und der Vatikan während der ersten Kriegsmonate 
Der beständige Argwohn und die Angriffsabstchten Oesterreich-Ungarns gegen Italien 
sind notorisch. Wir haben hierfür authentische Beweise. Der Generalstabschef Conrad 
v. Hötzendorff hielt einen Krieg gegen Italien für unvermeidlich. Er beklagte, daß 
Oesterreich im Jahre 1907 Italien nicht angegriffen habe. Der österreichisch-ungarische 
Minister des Aeußern erkannte selbst an, daß in der Militärpartei die Meinung ver 
trete» sei, man müsse Italien durch einen Krieg zerschmettern, weil von ihm die An 
ziehungskraft für die italienischen Provinzen der Doppelmonarchie ausgehe. Und wie 
haben uns unsere Bundesgenossen in der Unternehmung gegen Libyen geholfen? Oester 
reich lähmte nicht nur unsere Tätigkeit in den adriatischen und jonischen Gewässern, 
sondern verhinderte auch die Operationen italienischer Kriegsschiffe in der Nähe von Sollum. 
Aehrenthal erklärte, daß unser Vorgehen an den Küsten der europäischen Türkei und auf den 
Inseln des Aegäischen Meeres nicht zugelassen werden könne und dem Vertrag des Drei 
bunds entgegengesetzt sei. Im März 1912 erklärte Graf Berchtold als Nachfolger Aehren- 
thals dem deutschen Botschafter in Wien, daß er bezüglich unserer Operationen gegen die 
Küsten der europäischen Türkei und die Inseln des Aegäischen Meeres dem Standpunkt 
Aehrenthals treu bleibe. Als später unser Geschwader vor den Dardanellen beschossen 
wurde und das Feuer erwiderte, beschwerte sich Graf Berchtold über das, was geschehen, 
da er es im Widerspruch mit den gemachten Versprechungen stehend fand. Er erklärte, 
wenn die italienische Regierung ihre Handlungsfreiheit wieder zu gewinnen beschlossen 
habe, so hätte dasselbe die österreichisch ungarische Regierung tun können. Ebenso 
wurde uns die geplante Besetzung von Chios verboten. Es ist überflüssig, darauf hin 
zuweisen, wie viele Leben italienischer Soldaten und wie viele Millionen uns dieses 
Verbot kostete, das unser ganzes Vorgehen gegen die Türkei lahmlegte, die sich durch 
unsern Bundesgenossen vor jedem ernsthaften Angriffe geschützt wußte. 
Man hat uns bittere Vorwürfe gemacht, daß wir die in den letzten Tagen des 
Mai 1915 gemachten Angebote nicht angenommen haben, aber waren diese An 
gebote in gutem Glauben gemacht worden? Gewisse Dokumente lassen vermuten, daß 
dem nicht so war. Kaiser Franz Josef erklärte, daß Italien begehrliche Blicke aus 
das Erbteil seines Hauses werfe. Bethmann Hollweg sagte, daß man durch diese Kon 
zessionen unsere Neutralität zu erkaufen beabsichtigt habe. Also, meine Herren, zollen 
Sie uns Beifall, daß wir nicht angenommen haben. Uebrigens entsprachen diese 
Zugeständnisse in ihrer letzten und verspäteten Form keineswegs den klaren Zielen der 
italienischen Politik, nämlich erstens der Verteidigung der italienischen Nationalität, 
zweitens der Sicherung unserer militärischen Grenzen, und drittens der Erzielung einer 
minder gefährlichen Lage an der Adria. Alle diese hauptsächlichen Forderungen wurde» 
uns in aller Form verweigert. Auf unser Ansuchen, Triest die Unabhängigkeit zu geben, 
bot man uns für Triest die Selbstverwaltung an. Die Frage der Ausführung der Ver 
sprechungen, für die wir die Bürgschaft Deutschlands hatten, war gleichfalls sehr wichtig. 
Welches wäre nun unsere Lage gewesen, wenn Deutschland am Ende des Kriegs nicht 
imstande gewesen wäre, das gegebene Wort zu halten? Nach diesem Abkommen hätte 
es jedenfalls einen erneuerten Dreibund gegeben, aber zu bedeutend ungünstigeren Be 
dingungen, da es darin einen Souverän und zwei untergebene Staaten gegeben hätte. 
Wenn eines Tages die Bestimmungen des Vertrages nicht ausgeführt worden wären, 
wenn eines Tages die Gemeindeautonomie von Triest durch irgend ein Dekret der 
kaiserlichen Regierung oder irgend eines Statthalters aufgehoben worden wäre, an wen 
hätten wir uns dann wenden können? An den gemeinsamen Oberherrn, an Deutsch 
land? Ich will keineswegs von Deutschland ohne Bewunderung und ohne Respekt 
sprechen. Ich bin der italienische Ministerpräsident und nicht der deutsche Reichs 
kanzler und verliere nicht den Verstand. Aber bei aller Achtung vor dem gelehrten.
	        
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