Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

212 Die Ereignisse an der Westfront von Mai bis August 1915 
nuten lang — dann eine Pause, nach der wieder ruhig weitergefeuert wurde. Der 
Feind wußte gewiß nicht, was vorging. 
Um 3 Uhr 30 Minuten wurden sämtliche Uhren in der Division verglichen. Gleich 
zeitig wurde unser Artilleriefeuer um 50 Meter weiter nach vorn verlegt, so daß unsere 
vordersten Gräben nicht mehr bedroht waren. In der Zeit von bis 4 Uhr wurden 
unsere Sturmtruppen in die vorderste Linie vorgezogen. Ich war mittags mit den 
Sturmtruppen zurückgezogen worden; um 3 Uhr 30 Minuten bekam ich auch den Befehl, 
in die vorderste Feuerlinie zu gehen. Auf unserem Zugangsgraben lag starkes Feuer 
der Franzosen; wir krochen auf allen Vieren durch den Graben, der schon ziemlich voll 
von Verschütteten und Verwundeten war. Stellenweise war der Graben bereits ganz 
zugeschüttet, so daß wir uns mit unseren Schippen den Weg neu ausschaufeln mußten. 
Punkt 4 Uhr standen wir mit der Infanterie in der eigentlichen vordersten Sturmlinie, 
die tadellos erhalten war. Unsere Leute waren in vier Sturmwellen eingeteilt. In 
ihren Augen brannte das Feuer der höchsten Erregung, sie waren nicht mehr zu halten. 
Der Helm wurde fester auf den Kopf gedrückt. Nun kam der Befehl: „Erste Sturm 
welle vor! Das Seitengewehr aufgepflanzt!" Das blitzte; ein wildes Hurraschreien — 
aber in dem Höllenfeuer war nichts zu hören. Die Leute sprangen auf den kleinen 
Sturmleitern, die man vorher in den Graben geschafft hatte, auf das Vorfeld, und 
nun ging's vorwärts! Das Gewehr mit dem Bajonett unter dem linken Arm, in der 
rechten Hand die Granaten. 
Ein Stück unseres Grabens, den die Franzosen vor Wochen besetzt hatten — wir 
nannten ihn seitdem die Eiterbeule—, wurde zuerst erobert; Schnur auf Schnur wurde 
aus den Handgranaten abgezogen, und in der Eiterbeule mischte sich Feuer mit Blut. 
Zehn Minuten, nachdem die erste Sturmwelle eingesetzt war, kamen schon die ersten 
Gefangenen, unverwundet und blutüberströmt, in Trupps von 20 und 30, einer stützte 
sich auf den andern. Auch unsre Verwundeten wurden bereits durch die Gräben nach 
rückwärts geschleppt. Da müssen sie wegen der Enge des Weges zumeist auf dem 
Rücken getragen werden. Zehn Minuten nach dem Vorgehen der ersten Sturmwelle 
konnte ich auch bereits dem Bataillonskommandeur durch Leuchtkugeln anzeigen, daß 
der erste und zweite Graben der Franzosen genommen sei. Wie verabredet, schoß ich 
weiße, grüne und rote Lichter aus meiner Leuchtpistole. Und wenn wir einen Schritt 
vorkamen, wurden Flaggen aufgestellt, die kurz und bündig signalisierten: Wir sind hier! 
Die Telephonleitung war im Feuer zum Teil unbrauchbar geworden. Meine sechs Leute 
krochen vor und versuchten sich einzubauen, um neue Leitungen zu legen; es kam aber 
so heftiges Feuer vom Feinde, daß es nicht möglich war. 
Nach weiteren zehn Minuten hörte das französische Jnfanteriefeuer auf; der dritte 
und vierte Graben war genommen! Es ist mir heute noch unerklärlich, wie rasch das 
ging. Am stärksten wurde hinter der sogenannten Sandsackmauer Widerstand geleistet, 
in einem französischen Graben, der eigentlich miserabel ausgebaut war. Die Sandsack 
mauer selbst wies Hunderte von Löchern auf, so gut hatte die deutsche Artillerie ge 
schossen. Die französischen Gräben zeigten den Anblick einer wilden Panik: da lagen 
allerlei Ausrüstungsgegenstände herum, Patronentaschen, Handgranaten, Blechkisten, 
Stinkbombentrümmer, Gasballons für giftige Gase, Schanzzeug, französische Seiten 
gewehre und ungeheuer viel Jnfanteriepatronen. 
Wie toll unsre Leute vorgegangen sind, beweist die Tat zweier Landsturmmänner, 
ganz alter Leute, die 400 Meter vorliefen, viel weiter als wir wollten, in ein kleines 
Wäldchen, in dem sie ein zusammengeschossenes Blockhaus mit viel französischen Toten 
und sehr viel Munition fanden. Aus einem verlassenen Geschütz nahmen sie das Ver 
schlußstück heraus und brachten es als Siegestrophäe mit.
	        
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