Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

Die Italiener und ihre „unerlösten Landsleute" 117 
Kameraden auf dem Körper, deren Blut über mich herunterlief; zudem regnete es stark. 
Ich versuche, mich ein wenig zu erheben, um besser atmen zu können. Es war Tag, 
so daß sie sahen, wie sich etwas bewegte, ich aber hörte Stimmen, die auf deutsch sagten: 
„Schlaf, schlaf!" Ich stellte mich tot und erwartete einen Bajonettstich; aber statt 
dessen warfen sie eine Bombe, die ein großes Loch in eine Leiche riß, die über mir 
lag. Ich habe die ganze Nacht und den ganzen Tag ausgehalten; erst am Abend des 
3. August, um halb neun, gucke ich durch eine kleine Spalte zwischen den Leichen, um 
zu sehen, ob es schon Nacht sei, aber es war noch nicht dunkel genug. Ich warte noch 
einen Augenblick, und dann fasse ich Mut. Entweder die Haut lassen oder sich retten. 
Ich war ganz blutüberströmt und hatte einen teuflischen Hunger. Langsamer als 
eine Schnecke rutsche ich unter den sieben Leichen hervor und sprang in ein anderes 
Loch in der Nähe. Kaum lag ich am Boden, so hörte ich vier Schüsse über meinen 
Kops hinwegsausen, aber sie kamen zu spät. Ich lag schon hingestreckt und den Kops 
in einer Vertiefung. In diesem Loch blieb ich ruhig etwa eine halbe Stunde, und dann 
langsam, langsam schleichend machte ich mich aus den Weg. Als ich 20 Meter von 
unserem Schützengraben entfernt war, begann ich halblaut den Kameraden zuzurufen; 
aber keiner antwortete mir. Vorwärts getraute ich mich nicht, da ich fürchtete, sie würden 
aus mich schießen. Während ich redete, hörten mich die Oesterreicher, die mich auf dem 
ganzen Gang mit Schüssen jeder Art begleiteten. Ich faßte von neuem Mut und 
ging bis zu den Sandsäcken unseres Schützengrabens. Die Kameraden schliefen. Ich 
wollte hineinspringen; aber ich fürchtete mich aus irgend ein Bajonett der Schlafenden 
aufzuspießen. Da rufe ich noch einmal, und einer erwacht und sagt mir: „Werbist du?" 
und ich antworte: „Schiebe einen Sack auf die Seite, damit ich hineinkommen kann." 
Und während ich rede, höre ich von neuem Schüsse über meinen Kops hinwegpfeifen 
und in die Sandsäcke einschlagen. Die Kameraden im Graben sagten mir: „Bist du 
verwundet?" und ich erwiderte: „Nein, schieb' mir den Sack weg." Aber sie konnten 
ihn nicht wegschieben. Da sagte ich: „Macht mir Platz, damit ich von oben hinein 
springe." Dann lehnte ich mein Gewehr an die Säcke und machte den letzten rettenden 
Sprung. Ich hatte nicht mehr die Kraft, weder zu sprechen noch zu gehen. Man hob 
mich vom Boden aus; ein Geistlicher kam und fragte mich, ob ich Hunger habe; ich sagte, 
ohne zu überlegen: „Ich habe einen Madonnenhunger." Er gab mir eine schwere 
Schokoladentablette und Rum; darauf mußte ich meine Flucht erzählen. Des andern 
Morgens um 5 Uhr zog man mich bei aller Kälte bei einem Feuer aus und wusch mich 
mit warmem Wasser, während man alles, was ich bei mir trug, wegwarf. Nachdem 
ich so neugekleidet und gespeist war, führte man mich vor den Major, da man mich 
bereits in die Liste der Toten eingetragen hatte. Alle Kameraden küßten mich mit 
Tränen in den Augen vor Freude, mich noch am Leben zu sehen." 
Die Italiener und ihre „unerlösten Landsleute" 
Die Haltung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten war für die Italiener eine 
große Enttäuschung. Die überwiegende Mehrzahl der Offiziere und Mannschaften hatten 
fest an die Legende von den „unerlösten Landsleuten" geglaubt und erwartet, daß der 
Ausbruch des Krieges zum Signal einer Erhebung gegen die österreichische Herrschaft 
dienen werde. Statt dessen hat die italienische Heeresleitung nach ihrem eignen Zu 
geständnis sich genötigt gesehen, Maßregeln gegen die in den besetzten Gegenden zurück 
gebliebene Bevölkerung zu treffen, die Spionendienste tue. Das Bild hat sich über Nacht 
geändert. Statt von den Einwohnern mit Freude empfangen zu werden, mußten die 
italienischen Truppen die angesehenen Bürger verhaften und fortschaffen.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.