Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

Die italienischen Angriffe auf Tirol 
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noch vorsichtiger geworden. Vor unseren Patrouillen kehren sie regelmäßig um, außer 
sie sind sich ihrer vielfachen Uebermacht voll bewußt. Auch dann gehen sie nicht, wie 
unsere Schützen es tun, den Feind direkt an, sondern versuchen es mit Umfassungen und 
Umgehungen. Es kommt selten etwas für sie dabei heraus, denn wenn sie näher ge 
langen, trifft sie das Geschoß aus niemals fehlendem Stutzen. Dann taucht auch hier 
und dort in ihren Flanken, oder im Rücken, ein kleines Häuflein Jungschützen aus, die 
in tollkühnem Wagemut über das Eis der Firne sich herangepirscht haben, und geben 
ihnen den Rest." 
Von einem solchen Umgehungsversuch erzählt höchst anschaulich ein Feldpostbriefder „Wiener 
Neuen Freien Presse": „Unsere Grenze führt über das Gletschereis des Eben-Ferners, der sich 
links bis an die Straße heranzieht. Das hat uns genötigt, sie ein wenig zu verbessern und 
weiter nach Westen Raum zu gewinnen. Man sieht von dort in das Tal des Braulio hinab, 
auf die im kühnen Bogen über tosende Waldbäche führenden Brücken, die in zahlreichen 
Windungen sich herabschlängelnde Straße und überhöht den Ort Santa Maria, die 
Quarta Cantoneria, den höchsten ständigen Wohnsitz Europas, um sechshundert Meter. 
Von dem Gipfel, in dessen Nähe wir uns niederließen, streichen zwei scharfe, schmale 
Rücken gegen das Val del Braulio. Der eine, mit teilweise felsigen Wänden, in nord 
östlicher Richtung gegen San Ranieri, der andere, zwei Rückfallskuppen bildend, führt 
direkt westlich zur Straße. In unserem Rücken strahlt im grellen Sonnenlicht das 
ewige Gletschermeer der Ortlergruppe. Die Großartigkeit der Szenerie läßt sich nicht 
in Worte kleiden. Im Südost glänzt das Eis des Madatschferners und der Geister 
spitze, im Süden die Vedretta dei Vitelli und im Norden ragt die Röthelspitze. Gegen 
über, im Westen, schließt der langgestreckte, in Richtung Nord—Süd streichende Rücken 
des Monte Braulio unseren Gesichtskreis ab. 
Trotz der sich steigernden Untätigkeit unserer Gegner sichern wir uns gründlich und 
verstärken unsere Stellung nach allen Seiten. Denn am Monte Braulio sitzen die Italiener 
gerüstet, bewaffnet bis zu den Zähnen, vergraben bis über die Nase. Selbstverständlich 
sind auch unten im Tale alle Anstedlungen, sowie die Cantonieras vom Feinde besetzt. 
Ihre Geschütze senden wohl fleißig Eisengrüße herüber, bohren Trichter und Löcher, die 
Nachts den Horchposten oft einen willkommenen Aufenthaltsort bieten, ansonsten aber 
ist der Schaden, den sie anrichten, sehr gering. Einer unserer Posten, eine kleine, aber 
entschlossene Schar, kaum stärker als ein Schwarm, steht auf der großen Spitze am 
Rand des Ferners. Aus den haben es die Feinde abgesehen, nachdem sie feststellten, es 
seien dort höchstens fünfzehn Mann. Natürlich kommen sie wenigstens mit fünfzig, sonst 
ist die Geschichte zu riskant. Im Val dei Vitelli geht ein Fußsteig heraus, der dann 
über die Eisfelder führt. Dem folgen die Italiener, die zum Angriff gegen die Feld 
wache aus der Naglerspitze anrücken. 
Trotz der angewendeten großen Vorsicht ist der Feldwache hoch oben der Anmarsch 
gut sichtbar. Das zerrissene Gelände liegt, mit seinen Falten und Rinnen vor ihr wie 
in einem Panorama offen da. Das gute Glas des Kommandanten bringt die ganze 
Gesellschaft auf Greisweite heran, selbst das lebhafte Mienenspiel läßt sich erkennen. 
Sie ahnen natürlich nicht, daß sie schon längst entdeckt sind und unausgesetzt beobachtet 
werden. Geschicklichkeit ist ihnen nicht abzusprechen. Freilich sind es Alpin!, die da 
unter Führung eines Offiziers nahen und hier vermutlich jeden Weg und Steg kennen. 
Als sie das Eisfeld, die Vedretta dei Vitelli, betreten, geht die Arbeit mit Seil und 
Eispickel an. In großen Abständen voneinander rücken sie über die im Sonnenbrand 
dampfende Eisfläche weiter. Die Abteilung, die von uns am Monte Scorluzzo steht, 
beobachtet gleichfalls scharfen Auges das aufregende Schauspiel. Erst als von einer 
Patrouille die Meldung eintrifft, gegen unsere kleine Gruppe gehe vom Val del Braulio
	        
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