Bei den Tiroler Standschützen
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Mit dem Unterschied, daß die deutschen Stellungen in Frankreich nur Feldbefestigungen
sind und von einer Minderzahl gehalten werden, gleichen die Kämpfe am Jsonzo den
großen Durchbruchsschlachten im Westen, in denen sich die Franzosen verbluten. Dieser
Vergleich gibt auch wenigstens ungefähr einen Anhaltspunkt für die italienischen Ver
luste, denn es ist ja bekannt, was es die Franzosen kostete, wenn sie deutsche Schützen
gräben angriffen. So erscheint die österreichische Schätzung, daß die erfolglosen Stürme
aus die Jsonzolinie den Italienern einen Gesamtverlust an Toten und Verwundeten
von etwa 100000 Mann eintrugen, berechtigt. Ueber die Zahl der eingesetzten Kräfte
ist natürlich sicheres nicht bekannt, doch läßt die Ausdehnung der etwa 30 Kilometer
langen Front von Plava nach Monsalcone, die Dauer und Heftigkeit der Kämpfe den
Schluß zu, daß etwa 300000 Mann am Kampf beteiligt waren."
„Die Vorstellungen, welche die Italiener am Jsonzo und an den Zugängen nach
Kärnten erstritten haben, verheißen ihnen," so schreibt H. Stegemann im Berner „Bund",
„noch keinen strategischen Gewinn. Alles bleibt zu erkämpfen, alles im Stellungskrieg
Schritt für Schritt unter schwersten Opfern zu erringen, bis es ihnen gelingt, in die
österreichische Verteidigung eine Bresche zu schlagen. Dann erst werden sie sich operativ
entfalten können; es läßt sich aber ohne Kenntnis der inneren Verhältnisse des italieni
schen Heeres nicht absehen, ob ihnen das je gelingen wird, so schwungvoll und todesmutig
ihre Regimenter auch bei Doberdo und bei Plava wie an den Abhängen des Krn den
Angriff immer wieder vorgetragen haben."
Bei den Tiroler Standschützen
In den Berichten vom Tiroler Kriegsschauplatz ist viel von den Tiroler Standschützen
die Rede, jener eigenartigen Wehrsormation, die ein Vorrecht Tirols und Vorarlbergs
bildet. Die gesamte österreichisch-ungarische Wehrmacht zerfällt bekanntlich in das gemein
same K. u. K. Heer, das dem gemeinsamen Kriegsminister unterstellt ist, und die K. öster
reichische Landwehr und die K. ungarische Honved, die beide eigenen Landesverteidigungs-
(Honved-)Ministern unterstehen. Die Dienstzeit in Heer und Landwehren (die also aktive
Truppenverbände vorstellen) dauert jetzt bei der Infanterie und verwandten Truppen
teilen gleichmäßig zwei Jahre (früher in den Landwehren zwei, im Heere drei Jahre,
bei der Kavallerie und Artillerie drei Jahre). Nach dieser aktiven Dienstzeit treten die
Mannschaften in die Reserve über, aus der sie zwölf Jahre nach ihrem Diensteintritt
in den Landsturm überschrieben werden, der somit in Oesterreich und Ungarn auch alle
die Jahrgänge gedienter Mannschaften einschließt, die in Deutschland die Landwehr
ersten und zweiten Aufgebots bilden. Die Landsturmpflicht begann bisher mit dem
Jahre der Vollendung des 19. und endete mit dem Jahre der Vollendung des 42. Lebens
jahres, umfaßte also zwei jugendliche und drei alte Jahrgänge weniger als die deutsche.
Unter den Anforderungen des Weltkrieges hat man sich entschlossen, sie auf die Jahre
18 bis 50 auszudehnen und diese Ausdehnung in Ungarn durch Gesetz, in Oesterreich durch
Notverordnung in Kraft gesetzt. „In Tirol gibt es," nach einem Wiener Bericht der
„Kölnischen Zeitung", „außerdem noch die Standschützen als letzten Rest der alten
tirolischen Landeswehr, die eigentlich aus lauter solchen Standschützen bestand. Seit dem
25. Mai 1913 ist ihre Organisation durch Tiroler und Vorarlberger Landesgesetz an Stelle
des bisherigen ungeschriebenen Brauches ordnungsgemäß geregelt. Auch darin zeigt sich die
Voraussicht der österreichisch-ungarischen Heeresleitung, die dadurch verhindert hat, daß
die Tiroler Kriegsfreiwilligen, die wie Anno neun zur Büchse gegriffen haben wstrden,
wenn die „Walschen" ins Land eingefallen wären, der Gefahr ausgesetzt gewesen wären,
als Franktireurs behandelt zu werden.