Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

Vom schweizerischen Volk 
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andere (wie es auch geschah), nicht gegen Frankreich, sondern als Welsche zu der 
welschen Schweiz sprechen; damit der beschämende Hader ein Ende nehme. ... Vom 
Tage an, wo Spitteler sie mahnte, haben die Schweizer einander wiedergefunden." 
Ebenfalls im Aufträge der „Neuen Helvetischen Gesellschaft" sprach der Genfer Paul 
Seippel über „Die heutigen Ereignisse vom Standpunkt der romanischen Schweiz". 
Er hatte das ernstliche Bemühen, Deutschland zu verstehen, aber auch er machte den 
bekannten Unterschied zwischen Regierung und Volk, genauer, zwischen dem „preußischen 
Militarismus" und der deutschen Kultur. Einige Stellen seiner Rede sind besonders 
bemerkenswert: „Für uns Schweizer ist die Rivalität zwischen Frankreich und Deutsch 
land und der Kampf auf Tod und Leben, der zwischen den beiden Nationen entbrannt 
ist, ein nicht wieder gut zu machendes Unglück. Das geistige Wesen dieser beiden Kultur 
völker ist ja dazu angetan, sich gegenseitig zu ergänzen, und ihr Einvernehmen würde 
für sie selber und die ganze Welt eine unschätzbare Wohltat sein. ... Es bestand kein 
instinktiver und erblicher Haß unter ihnen. Verbrechen der Geschichte haben sie zu 
Feinden gemacht." ... „Wir haben, wenn wir uns auf einen ausschließlich schweizerischen 
Standpunkt stellen, dem heutigen Deutschland nicht das Geringste vorzuwerfen; es hat 
uns gegenüber mit vollkommener Korrektheit gehandelt und alles getan, was ihm mög 
lich war, um die Schärfe der wirtschaftlichen Krise zu mildern, die uns bedrohte. ... 
In der ganzen neueren Geschichte und seit die Erinnerung an den Schwabenkrieg ver 
blaßt ist, haben wir gewiß keinen Grund gehabt, uns über Deutschland zu beklagen.... 
Wer wird auf dem Gebiete des geistigen Lebens je das Maß der Dankbarkeit abschätzen 
können, die wir dem Lande Kants, Goethes und Beethovens schulden! Und das sage 
ich als romanischer Schweizer." — „Die Aufgabe der Schweiz aber ist es, schon während 
des Krieges durch Werke der Menschenliebe dem Frieden die Wege zu bahnen." 
Auch Paul Wernle, der bekannte Basler Theologe, hat in seiner kleinen Schrift: 
„Gedanken eines Deutsch-Schweizers" (zuerst in den „Basler Nachrichten", dann bei 
Rascher & Co., Zürich) schöne, schlichte Worte für Deutschland gefunden. Zwar bedauert 
auch er die Verletzung der belgischen Neutralität und will sie nicht verteidigen; „aber das 
dürfen wir sagen: einigermaßen verstehen, nach dem Grundsatz der Billigkeit verstehen, 
das können wir allerdings." „Wir verstehen unter Billigkeit, daß man dem andern 
nicht zur unverzeihlichen Schuld anrechnet, wofür man für sich selbst, wenn man in der 
gleichen Lage stünde, sicher Entschuldigung beanspruchen würde." „Beklagenswert im 
höchsten Fall bleibt es auch für uns, dieser Neutralitätsbruch hat unsern deutschen Sym 
pathien einen harten Stoß gegeben. Aber wo sie vorher echt und tiefer waren, sind sie 
dadurch nicht weggeweht." Wernle betont dann aber: „So stark beim Einzelnen seine 
Sympathien mit dem deutschen stammesverwandten Nachbarvolk sein mögen, daß wir 
nun einmal Schweizer sind und bleiben wollen, ist uns immer die erste 
Selbstverständlichkeit." Von einem Abrücken von Deutschland, wie es Spitteler 
befürwortete, will Wernle dagegen nichts wissen: „Wir würden selbst verzichten aus 
einen guten Teil der Größe unserer Zeit, wenn wir gerade jetzt abrücken wollten von 
unsern deutschen Freunden, da die allerfurchtbarste Not und Gefahr über sie gekommen 
ist und es für sie hieß, siegen oder sterben für des Vaterlandes Erhaltung und Ehre." 
Im Kanton Tessin, dem „Garten an der Sonnenseite", sind nur wenige zum 
Kriege stellungnehmende Schriften erschienen. Außer einem feinen, jedoch ganz allgemein 
gehaltenen Büchlein: „Blätter unter der Asche in Tagen lodernder Flammen" von Fran 
cesco Chiesa, dem Tessiner Dichter (übersetzt bei Orell-Füßli, Zürich), ist die Schrift: 
„Die Tessiner Frage" des in Tessin lebenden Deutschschweizers Hermann Aellen zu 
nennen. Den eindringlichsten Beweis aber seiner aufrichtigen, gut schweizerischen Gesin 
nung hat das Tessiner Volk durch die unerwartet herzliche, freundeidgenössische Aufnahme
	        
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