Volltext: Der Völkerkrieg Band 5 (5 / 1916)

266 Frankreich während des zweiten Kriegshalbjahre 
setzen, die in Frankreich eine weitverzweigte Organisation zur Verbreitung der Schwarzseherei 
und Demoralisierung des Volkes unterhielten. Auch die französischen Frauen sind mehr 
fach ermahnt worden, Mut und Vertrauen nicht zu verlieren. Zuerst von Mme de 
Witt-Schlumberger, die den Frauen einschärfte, die Urlauber nicht zu entmutigen und 
ihnen ihre Trauer beim Abschied zu verbergen; alsdann durch den Artikel von Colette Iver 
an Mme Durand, worin sie fleht, bis zum Ende durchzuhalten, trotz des herzergreifenden 
Jammers über die nicht endenwollenden Opfer dieses langen Kriegsjahres; schließlich 
durch den Aufruf der Frauenvereinigung Frankreichs an alle Frauen, um sie an die heilige 
Pflicht zu mahnen, ohne ausgelassen zu sein, doch eine gewisse Heiterkeit zur Schau zu 
tragen: „Jedes Wort der Entmutigung gleicht einem Schuß, den ihr in den Rücken 
unserer Helden an der Front abfeuert!" Und auch die Regierung sah sich veranlaßt, 
Ende Juli 1915 alle Präfekten in einem Rundschreiben aufzufordern, unerbittlich gegen 
die Verbreiter falscher Nachrichten einzuschreiten. 
So gelang es die Welle von Pessimismus und Ermüdung, die Frankreich zu überfluten 
drohte, noch einmal aufzuhalten. „Eine neue stille Hoffnung," so schreibt die „Gazette 
de Lausanne" vom 24. Juli 1915, „beginnt sich in Frankreich zu bilden. Da sie sich 
mehr auf der tatsächlichen Lage aufbaut, hat sie Aussicht, länger durchzuhalten. Sie ist 
noch durchdrungen von Optimismus, in dem Sinne, daß sie immer noch den endlichen 
Sieg voraussetzt, aber sie verzichtet darauf, den Tag, da der Friede wieder geboren werden 
wird, vorauszusagen. Die Worte ,Abnutzungskrieg*, .Erschöpsungskrieg* er 
scheinen wieder in den französischen Zeitungen und in den Briefen, die man aus Frank 
reich erhält." Und Gabriel Hanotaux, der in der „Revue Hebdomadaire" diese Wand 
lung der öffentlichen Meinung in Frankreich zergliedert, erklärt zum Schluß: „Das Er 
gebnis wird um so rascher erreicht werden, je eher man sich entschließt es abzuwarten." 
Inzwischen arbeitete die Regierung mit allen Mitteln, die Kriegsaufregung immer aufs 
neue aufzustacheln und benützt dazu die krankhafte Neigung des Publikums nach Schauer 
berichten mit wachsendem Erfolg. Nach dem Geschrei über die Verletzung der Neutra 
lität in Belgien, über Löwen und Reims, kamen die Ungeheuerlichkeiten über die deutschen 
Grausamkeiten, ein unerschöpfliches Thema, das den Haß gegen Deutschland ins Un 
ermeßliche steigerte. „Wer noch mit einiger Anerkennung von Deutschen reden hören will, 
muß," wie der „Kölnischen Zeitung" geschrieben wird, „mit Offizieren und Soldaten 
sprechen. Da gibt man gern zu, daß man seit Kricgsanfang viel von den Deutschen 
gelernt habe. Man läßt die Tapferkeit der deutschen Soldaten gelten und versteigt sich 
wohl einmal zur Behauptung, daß man die Deutschen in vielen Dingen bewundern würde, 
wenn sie nicht gar so unmenschlich wären. Denn der Glaube an die Grausamkeit der deutschen 
Kriegführung wird dem Soldaten schon im Truppendepot beigebracht und in der ganzen 
Armee, sowie in der Zivilbevölkerung auf das sorgsamste unterhalten." Zu den täglichen 
blutrünstigen Schilderungen über Mord, Schändung, Verstümmelung, Raub und Brand 
stiftung, kamen erfundene „Heldenbriefe von der Front" und gleichfalls erdichtete „durch 
geschmuggelte Klagebriefe aus deutschen Gefangenenlagern", was alles allmählich ein 
ungeheueres Rachebedürfnis hervorrief, das alle Kreise Frankreichs in gleicher Weise er 
griffen hat. Wie sehr, das zeigt ein Artikel des Abgeordneten Delafosse im „Echo de Paris", 
der vorschlug, die deutschen Generale an den Stätten ihrer Schandtaten zu erschießen oder 
noch besser aufzuhängen, noch mehr aber die vielen, über solch milde Bestrafung entrüsteten 
Briefe seiner Leser, nach denen ganz Deutschland durch Mord, Brand, Schändung usw. 
heimgesucht werden müsse, damit dem Rachebedürfnis der Franzosen Genüge geschehe. 
Auch Maurice Barres ergänzt die Vorschläge von Delafosse. Auch er wünscht Be 
strafung der deutschen Führer, Kollektivbestrafung der einzelnen Gegenden Deutschlands, 
aus denen die in Frankreich kämpfenden Armeekorps stammen, empfiehlt aber ferner.
	        
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