Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

168 Die Ereignisse an der Westfront von Mai bis August 1915 
Also ist es doch wahr. Im Schützengraben bilden sich Gruppen. An Schlaf ist vor 
läufig nicht zu denken. Jeder will dabei sein, wenn aus Hunderten von Kehlen den 
Franzmännern da drüben das donnernde Hurra entgegendröhnt. 
Inzwischen ist es im feindlichen Graben still geworden. Nur ganz vereinzelt knattert 
noch ein Gewehr oder heult eine Granate. Da, eben ist es Vs 12 Uhr, hört man von 
weitem bereits das kräftige „Hurra Oesterreich-Ungarn!", und wie eine Welle pflanzt 
es sich die ganze Front entlang fort. Durchdringend wirkt diese kurze markige Kund 
gebung deutscher Feldgrauer. Dann stimmt ein einzelner „Deutschland, Deutschland 
über alles" an. Sofort stimmt alles in den einzelnen Grabenabschnitten ein, bis das 
Lied weithin in der Ferne verhallt. Die Franzosen mochten glauben, die deutschen 
Linien treten zum Sturm an, und begannen deshalb ein mörderisches Feuer. In 
fanterie und Artillerie suchten sich im Abfeuern von Salven zu überbieten. Platzende 
Schrapnells und Leuchtraketen erhellten die Nachtlandschaft. .. 
Im deutschen Graben aber ist nach der Kundgebung für unsern Bundesgenossen wieder 
Ruhe eingetreten. Es herrschte nur eine Meinung, besser ein ehrlicher Feind, als ein 
falscher Freund. Biel Feind', viel Ehr'!" 
Ein Ehrentag des Res.-Jnf.-Regts. Nr. 29. 
Die Champagne Kriegs-Zeitung, das Blatt des VIII. Reservekorps, der Armeegruppe 
Fleck, schreibt: „Das haben sich die Herren Franzmänner doch wohl nicht träumen lassen, 
daß wir sobald von ihrer freundlichen Aufforderung Gebrauch machen würden. Sie hatten 
nämlich einige Wochen vorher uns und unsern Nachbarn zur rechten Seite, den 65ern, zu 
gewinkt und zugerufen, wir möchten doch unser miserables Kartoffelmehlbrot liegen lassen 
und bei ihnen drüben dafür schönes französisches Weißbrot empfangen. Wir könnten 
ja dann auch gleich bei ihnen bleiben, sie würden uns gern da behalten. Mit uns wäre 
es doch bald aus! 
Wir haben uns diese Einladung lange und gründlich, wie nun einmal die 
Deutschen sind, überlegt und uns endlich dazu entschlossen, ihr Folge zu leisten. 
Am Abend des 9. Juni 1915 — unsere Artillerie, Pioniere und Minenwerser hatten 
vorher erst einmal drüben gründlich „angeklopft" — erschien plötzlich, ohne erst 
auf das „Willkommen" zu warten, unsere Sturmkolonne und war im Nu nicht allein 
erst im „Empfangsraum" der Franzosen, sondern stieß durch bis zu deren Reserve- 
ständen. Wir hatten also mit einem Schlage die ganze nördliche Hälfte der „Traube" 
in der Hand, von der wir nach dem Gefechtsplan nur die vordersten „Beeren ab 
pflücken" wollten. Der Angriffsgeist unserer Truppen hatte sich abermals ein neues, 
schönes Denkmal gesetzt. Darauf waren unsere Gegner allerdings nicht gefaßt. Wir 
hatten sie — wieder einmal in recht unhöflicher Weise — ausgerechnet beim Abendessen 
überrascht. So mußten sie denn ihre wohlgefüllten Reisschüsseln im Stiche lassen, und 
auch die angefangene Verteilung der Abendpost konnten sie nicht mehr recht zu Ende 
führen. Ihre nach hinten führenden Verbindungsgräben waren im Augenblick von 
Flüchtlingen verstopft, und so blieb den meisten nichts anderes übrig, als übers freie 
Feld mitten durch unser Artillerie- und Maschinengewehrfeuer Reißaus zu nehmen. Die 
noch besetzten Gräben wurden durch unsere Handgranaten rasch ausgeräuchert, ernst 
haften Widerstand leisteten nur wenige, die andern gaben sich gern gefangen. Einer 
von diesen küßte sogar seinem deutschen Kameraden dafür dankbar die Hand. Einer 
unserer Offiziere rief einem solchen Gefangenentrupp zu: „malheur“ „Oh non, bon- 
heur, grand bonheur“ (großes Glück!) war die Antwort. Schnell wurde die ge 
nommene vorderste Linie durch Posten gesichert, so daß dahinter das Einebnen der feind 
lichen Gräben und die Befestigung unserer neuen Stellung ungestört erfolgen konnte.
	        
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