Der flandrische Kriegsschauplatz
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Die Beschießung von Dünkirchen, Furnes-Ost und Poperinghe
Seit dem 30. April 1915, als die französische Kanalfestung Dünkirchen zum erstenmal
der schweren deutschen Artillerie ein stcheres Ziel bot (vgl. V, S. 181 ff.), blieb Dün
kirchen als wichtiger Stützpunkt der englischen Armee ein Gegenstand besonderer Auf
merksamkeit des deutschen Armeeoberkommandos in Flandern. Am 10. Mai 1915 erhielt
die Festung im Laufe des Vormittags vier großkalibrige Granaten, die auf den Bahnhof
gerichtet waren. Während hier der Schaden noch verhältnismäßig gering war, richtete
die Beschießung der Vorstadt Bergues größere Verheerungen an. Ueber zehn Häuser
wurden zerstört, und von einer mitten aus dem Marktplatz einschlagenden Granate viele
Personen verletzt. Die Bevölkerung, die nach und nach wieder nach Dünkirchen zurück
gekehrt war, verließ von neuem die Stadt. Nach einem Bericht der „Times" war die
neue Kanonade so stark, daß die gegenüberliegende englische Kanalsestung Dover erzitterte
und das Bombardement über den ganzen Kanal dröhnte.
In der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1915 wurden Stadt und Hafen von Dün
kirchen von neuem von 45 schweren Geschossen getroffen, die während einer dreiviertel
stündigen nächtlichen Belegung bedeutendere Verwüstungen in den Geschäftsvierteln an
richteten, als bei den fünf früheren Beschießungen. Die Zahl der toten und verwun
deten Zivilisten und Militärpersonen wurde aus 200 geschätzt. Der Bahnhof ist vollständig
zerstört worden und auch die Hafenbauten erlitten schwere Beschädigungen; zwei Drittel
der Bevölkerung flohen. Auch Furnes-Ost ist von den Deutschen in diesen Tagen be
schossen worden, worauf die Franzosen nach ihrer amtlichen Nachmittagsmeldung vom
28. Juli zur Vergeltung die deutschen Quartiere von Westende und Middelkerke beschossen.
Am 1. August 1915 begannen die Deutschen die Festung Dünkirchen wiederum mit
ihren weittragenden Kanonen zu beschießen, und am 8. August ist, wie „Nouvelliste"
meldet, auch Poperinghe (westlich von Ipern) eine Stunde lang von der deutschen
Artillerie beschossen worden. 22 Granaten fielen auf die Stadt. Nach dem zehnten
Schuß trat eine Pause ein, so daß die Bevölkerung glaubte, die Beschießung sei zu Ende.
Wenige Minuten später setzte das Feuer wieder ein und verursachte bedeutenden Schaden.
Großen Militärschaden richteten auch die großen Geschosse schwerkalibriger Geschütze
an, die am 9. August 1915 auf Dünkirchen geschleudert wurden. Unter der Bevölkerung
hatte diese erneute Beschießung eine derartige Bestürzung und Erregung verursacht, daß
sich die Behörden veranlaßt sahen, zum Schutz der Bewohner neue Vorsichtsmaßregeln
zu treffen. Dazu gehört, daß in einer Anzahl Straßen mehrere Häuser durch weithin
sichtbare rote Fahnen allen bei einer einsetzenden Beschießung auf den Straßen befind
lichen Bewohnern als Zufluchtsstätten kenntlich gemacht wurden.
Der Luftkrieg in Flandern
Die Franzosen und Engländer hatten auf ihr überlegenes Können im Fliegen, auf
die „fünfte Waffe", große Erwartungen gesetzt. Der bisherige Kriegsverlaus hat jedoch
bewiesen, daß die deutschen Flieger ihren Gegnern zum mindesten ebenbürtig sind. Bei
Wind und Wetter, bei Sturm und eisiger Luft steigen sie auf, fliegen über das Meer,
und haben überall und stets eine Ausdauer, Unerschrockenheit und Kampfeslust bewiesen,
die ihresgleichen sucht. Während des Bewegungskrieges wie in den Stellungskämpsen ist
der Flieger als Aufklärer und Beobachter zu einem unersetzlichen Gehilfen der Truppen
führung geworden; neuerdings haben unsere Flugzeuge auch im Geschwaderfluge alle
Erwartungen übertroffen. Denn die überaus häufige Belästigung durch feindliche Flieger
hat dahin geführt, die deutschen Flugzeuge nicht nur zur Selbstverteidigung sondern auch
zum Angriff geeignet auszubauen; so entstanden die Kampfflugzeuge, die den Luftkrieg,
der früher als Hirngespinst belächelt wurde, zur Tatsache machten.
Völkerlrieg. VII. 7