Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

94 Die Ereignisse an der We st front von Mai bis August 1915 
Auf der Chaussee angekommen, zeigt sich einem ein eigentümliches Bild. Zur Rechten 
fällt die Straße nach Menin hinab und interessiert weniger; umso interessanter sieht's 
zur Linken aus, von der oben das berühmte Gheluvelt herunterschaut. An der leichten 
Steigung bei Gheluvelt und etwas weiter vorne bei Veldhoek hatten die Engländer 
starke Erdbefestigungen angelegt und harten Widerstand geleistet. Straße und Aecker 
sind von Granaten gepflügt, die herrlichen Alleebäume größtenteils abgeschossen, zerfetzt 
und geknickt; Arbeiter sind daran, die Schäden soweit wie möglich auszubessern, da und 
dort auch ganz neue Straßen anzulegen. Da ist gleich der „Badische Weg", die „Friede 
rich-August-Straße" usw., nach den Namen schon erkennbar, welche Kontingente hier 
gewaltet. Auf der oftmals durch tiefe Gräben unterbrochen gewesenen Chaussee herrscht 
ziemliches Leben. Kolonnen passieren und Feldgraue, Autos und Motorradler. 
Unmittelbar am Westrand von Gheluvelt verlief die englische Stellung, noch angelehnt 
an die ersten Häuser. Die armen Kerle, die links der Straße gewesen sein müssen, als 
eine 21er das Haus über ihren Köpfen wie ein Kartenhaus zum Zusammenklappen 
brachte, sie schlafen jetzt hier unten den ewigen Schlaf. Die Ortschaft selbst hat, soweit 
man's überhaupt noch schätzen kann, aus etwa sechzig Häusern bestanden. Rechts und links 
haben sie die Straße gesäumt; in Trümmerhaufen ist alles, alles zusammengesunken, ein 
unbeschreibliches Chaos, in dem ein Leutnant (als „Ortskommandant") mit seinen Leuten 
kampiert. Auch die Kirche liegt in Trümmern, der Turm ist von Granaten angefressen, 
das Dach ausgebrannt und abgestürzt .... 
Halblinks drüben liegt die Höhe 60, die so viele Leute gekostet, aber endgültig in 
unserem Besitz ist. Von der auf einer kleinen Anhöhe gelegenen Windmühle sind nur 
noch die Eisenräder übrig geblieben. An ihr vorbei zieht nordöstlich der Weg nach 
Becelaere. Die Senkung zwischen beiden Orten ist der reinste Friedhof; mit Liebe 
sind die Gräber von Kameraden angelegt und gepflegt; der links liegende Park war 
wie geschaffen dazu. Ueberall Holzkreuze mit Inschrift, oft aus einem Grab ein Blumen 
strauß, ein Helm, ein geschnitztes Kreuz und einmal .... rührend, eine weiße Schleife: 
„Die Eltern und Geschwister ihrem lieben, guten Ernst" .... 
Merkwürdig, in Becelaere, das natürlich ebenfalls nur von Feldgrauen bewohnt 
wird, soweit man überhaupt von Bewohnen sprechen kann, hat am meisten die Kirche 
gelitten. Wohl an die zwanzig Treffer hat der massive Turm erhalten, dessen Ruine 
weithin sichtbar ist. Die Engländer haben hier oben den deutschen Artilleriebeobach 
tungsposten vermutet, sie haben's ja so in der Mode. Etliche Verbandplätze haben 
hinter Mauergiebeln Schutz gefunden; wie die Küchlein um die Henne sitzt man zu 
sammengekauert dahinter. Die Front kann da nicht ferne sein .... 
Hinter Becelaere, da wo die Straße nach Moorslede abbiegt, passiert man die inter 
essanteste Frontstellung. Hier war man sich, nur durch eine Mulde getrennt, aus dreißig 
Meter monatelang gegenübergelegen. Drahthindernisse konnten nicht angelegt werden, 
denn wer nur die Nasenspitze zeigte, war weg. So baute man herüben und drüben mit 
Sandsäcken hohe, dicke, steile Mauern,, um jeden Angriff und jedes Erklettern dem 
Gegner zur Unmöglichkeit zu machen. Und doch haben's die unsern geschafft, mit Bravour 
geschafft; wer das gesehen, der fragt sich mit Recht, was ihnen wohl widerstehen wird. 
Blut, viel Blut ist hier geflossen, in Ermangelung von Sandsäcken hat hier der Gegner 
gar die Leichen der gefallenen Kameraden zur Bildung der Brustwehren mit eingebaut; 
als die Riesenfeldbefestigungen abgetragen wurden, stieß man dabei auf diese Kultur 
taten der Grande nation und diese Zeichen der Pietät der „lieben Vettern über dem 
Kanal" Es hat ihnen nicht viel geholfen, mit unwiderstehlicher Kraft wurde die 
außerordentlich gut gewählte, vor Zonnebeke liegende Stellung in glänzendem Anlauf 
genommen; und dann fiel auch Zonnebeke.
	        
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