Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

D e r flandrische Kriegsschauplatz 
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Ganz ähnlich schildert in der „Daily Mail" ein englischer Kriegsfreiwilliger die 
Furchtbarkeit der Kämpfe um Ipern. Er schreibt: „ Gerade als die erste Däm 
merung am Himmel sichtbar wurde, platzten die ersten Geschosse über die Linie. Von 
da ab kamen, was eine Ewigkeit schien, in Wirklichkeit aber nur zwei Stunden währte, 
die Geschosse in andauernder Folge. Schrapnells, Brisanzgeschosse und ab und zu ein 
großes, wurstartig geformtes Ding heulend durch die Luft, um mit betäubendem Getöse 
zu platzen. Die Dämpfe von den Geschossen kamen uns in die Augen; die Brustwehr 
brach zusammen; Traversen brachen nieder; die Leute krümmten sich, wurden begraben. 
Und sie kamen, kamen. Die Leute, die noch lebten, lagen betäubt, hilflos. Ganze Teile 
der Frontdeckung wurden in großen Kratern fortgerissen. An einigen Stellen stürzten die 
Leute, fast von Sinnen, aus dem Graben blindlings hinaus — mit dem einzigen Ge 
danken, nur von diesem gräßlichen lebenden Tod fortzukommen. Aber wenn der Tod 
im Graben wahrscheinlich war, draußen war es gewiß. Der todbringende Schrapnell 
regen fand sie heraus, sie fielen, einer nach dem anderen. Einige schleppten sich vielleicht 
eine Strecke mit zerschmetterten Gliedern, stöhnend und ächzend, bis eine andere zer 
reißende Explosion ihnen den Frieden gab. „Nieder, nieder!" versuchte ich zu schreien. 
Meine in der fürchterlichen nervenzerrüttenden Hölle zitternden Lippen konnten kaum die 
Worte bilden. Es kam nur ein Flüstern heraus, aber, wenn ich auch durch ein Megaphon 
geschrien hätte, niemand hätte es gehört. Das Getöse war zu ungeheuer. 
Und sie kamen, kamen. Meine Augen starrten stumpf auf einen Mann, der hinter 
einer Traverse kniete und sinnlose Worte zu sich selber sprach. Ich wollte ihn schelten, 
als mit schrecklichem Krachen eine Brisanzgranate über der Traverse krepierte. Der 
Mann wurde vorwärts geschleudert, nur sein zersplitterter Kopf sah noch aus den auf 
ihn gestürzten Erdmassen heraus. 
Ich raffte mich zusammen. Also das war es, was die Zeitungen ein „wütendes Bom 
bardement der Gräben" nannten. Und ich hatte bis dahin noch keinen Deutschen gesehen. 
Plötzlich, wie ein Sturm in den Tropen, schien das Schießen abzusterben. Ich konnte 
es zuerst nicht fassen. Geist und Gehirn waren noch betäubt. Ich schien von einem Alp 
zu erwachen, aber nur halb. Wie lange ich so lag, ich wußte es nicht. Ich versuchte meine 
Hand zu bewegen, das Zucken meiner Muskeln zu beruhigen. Plötzlich sah ich eine Gestalt 
um die zerstörte Traverse kriechen. Es war mein Hauptmann. „Gott sei Dank, daß Sie 
nichts abbekommen haben. Sie hatten es schlimm hier." — Ich nickte, denn ich konnte 
nicht sprechen. Der Hauptmann sah mir ins Gesicht und verstand. Niemand sprach eine 
Weile. „Wieviel sind übrig von Ihrer Abteilung?" fragte dann der Hauptmann wieder. 
„Ich weiß es nicht," erwiderte ich. Meine Stimme schallte mir selber seltsam. Tat 
sächlich zitterte sie wie die eines alten Mannes. Wir krochen umher und zogen aus allerlei 
Ecken Männer mit weißen Antlitzen. Ein Mann schluchzte, die anderen starrten betäubt 
vor sich hin . . . ." 
Es ist ja schon oft genug darüber berichtet worden, daß die Engländer ihre Hilfs 
völker stets in die vorderste Linie senden. Eine neue Bestätigung bildet die Schilderung 
eines Gefechtes der 57. Wilde's Schützen bei Ipern im „Daily Telegraph", in der es 
heißt: „Die 57. Wilde's Schützen, ein Regiment, das während des ganzen Feldzuges den 
Ruf der indischen Armee in wunderbarer Weise hochgehalten hat, bildete das mittlere 
Bataillon der Brigade. Der Zwischenraum, den die angreifende Abteilung zurück 
legen mußte, war ohne Deckung. Er stieg in den ersten 500 Metern leicht an, fiel 
dann ab und endete in eine allmählich ansteigende Höhe vor den deutschen Stellungen, 
die die ganze Vormarschlinie beherrschten. Der Feind hatte lange Zeit Gelegenheit gehabt, 
seine Geschütze aus die Entfernung einzustellen, eine Tatsache, die bald durch die Genauigkeit 
seines Feuers bestätigt wurde. Während der ersten 500 Meter waren die Verluste durch
	        
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