Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

90 Die Ereignisse an der Westfront von Mai bis August 1915 
Aus den Kämpfen bei Ppern 
Die gewaltigen Kämpfe auf dem flandrischen Kriegsschauplatz dauerten seit Mitte Mai 
1915 mit Unterbrechungen an. Nach wie vor blieb der verlassene Steinhaufen von Ipern 
das heiß umkämpfte Ziel der Angreifer. Monatelang erzitterte die Erde unter dem ge 
waltigen Geschützfeuer und immer furchtbarer wurden die Verwüstungen des Landes. Wie 
todesmutig an der Iser gekämpft wurde, geht deutlich aus den Schilderungen der Mitkämpfer 
hervor-, so aus einem Feldpostbrief des Kriegsfreiwilligen Karl Keyser, den die „Tägliche 
Rundschau" veröffentlicht hat. Karl Kepser schreibt: 
„Nacht! Ruhige, kalte, sternklare Nacht. Wir stehen im Graben. Dunkle, schwarze 
Gestalten, in Mäntel gehüllt. Fröstelnd schaut man durch die Scharten. Dunkel, uner 
gründlich dehnt stch die Ebene vor dem kleinen Loch. Da ein Heller Blitz, stärker werdend, 
unheimliche, geisterhafte Helle verbreitend. Unbarmherzig zeigt das Licht den spähenden 
Augen das Vorland. Dann erlischt die Kugel. Wir haben genug gesehen. Drüben, bei 
dem Franzmann, fehlen die Drahtverhaue. Das heißt Sturm! Kamps bis aufs Messer! 
Unteroffiziere streichen durch den Graben, geräuschlos, wie Schatten. Wehe dem Posten, 
der nicht wacht! Sie wachen alle! Jeder Mann weiß: nur Stunden noch, dann setzt 
das Granatfeuer ein, und dann — ja, dann wird drüben aus dem Graben eine Flut 
vorbrechen. Welle auf Welle rasender Menschen wird anstürmen gegen unsere Stellung, 
brüllend, mit stieren Augen, geifernd wie hungrige Wölfe. 
Ewig dauert die Zeit. Da — ein Blitz, weit hinten in der Ferne! Ein fauchendes 
Sausen, dumpfes Einschlagen, und dann ein gellender Knall. Splitter surren und zischen 
durch die Luft; gelber, stinkender Qualm zieht über den Graben hin — 20 Meter zu 
kurz! Die Kanonade beginnt. Schuß auf Schuß saust heran! Klirren, Klingen und Fauchen 
in der Luft. Die Sandsäcke fliegen umher, Erde, Blut und Eisen. Leuchtkugel nach 
Leuchtkugel steigt auf. Die Mannschaften stehen auf ihren Plätzen. Rot, fieberglühend 
die Augen, die Hände zitternd vor Aufregung. 2 Uhr! Bald, fast jeden Augenblick, 
müssen fle kommen. Minuten rinnen, und jede bringt einen Knall, so gellend, so hart 
wie des Schicksals Tritt. Jetzt ausharren, sonst ist alles, alles verloren! 
Wieder geht eine Leuchtkugel hoch, und da — da hinten —, sie kommen. Wie ein 
Schrei der Erlösung geht es durch den Graben. Noch drei Salven der feindlichen 
Artillerie, unheimlich genau gezielt. Nur Trümmer der Schanzen stehen noch. Doch in 
diesen Trümmern, da liegen die grauen Gestalten, reglos, den Finger am Abzug, und 
die Augen bohren sich in die blendende Helle vor dem Graben. Taghell ist das Land 
erleuchtet. Der Feind sieht, er ist bemerkt. Da kommen sie heran, wie Tiger, gebückt, 
in verzweifelnden Sätzen. Man hört nicht das Gebrüll, das dumpfe Tosen der stampfen 
den Füße. Nur auf ein Wort ist das Ohr der Mannschaften eingestellt: 
„Feuer!" Gellend bricht sich das Kommando Bahn durch den Lärm. Die drüben 
fliegen förmlich heran, sie haben es gehört. Dann fällt ein Schuß, noch einer, wie 
zögernd, und dann bricht ein Rasseln los, ein grausiges Trommeln, und in der Luft 
liegt ein Singen und Sausen. Die Sturmkolonne bekommt Lücken, in das Prasseln des 
Gewehrfeuers mischen sich Schreie, hilseflehend, gottanklagend und winselnd. Man steht 
die Körper im rasenden Lauf stürzen und mit den Armen schlagen. Aber immer noch 
reißt sie der Wille zum Sieg vorwärts. Hinein in Tod und Verderben. 
Da, ein neuer Takt in der Musik des Todes: das kalte, brutale tack-tack-tack des 
Maschinengewehrs. Die gelichteten Reihen wanken, zehn Meter vorm Drahtverhau. Und 
dann fluten sie zurück. Es beginnt das Rennen ums Leben. Der Tod spricht hart, recht 
haberisch, tack-tack-tack, unerbittlich! Wie Schemen verschwinden die letzten im Dunkel. 
Und der junge Morgen sieht Blut und Jammer. Aber auch siegglühende Augen in 
bleichen Gesichtern. Abgeschlagen — Hurra!"
	        
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