Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

56 Das Deutsche Reich während des zweiten Kriegshalbjahres 
Trotz der so wesentlich vermehrten Dienstpflichten wollte die evangelische Geistlichkeit 
an persönlicher Aufopferungsbereitschaft nicht hinter anderen Ständen zurückstehen. Schon 
Ende November 1914 haben 160 evangelische Pfarrer aller Richtungen Groß-Berlins 
eine Erklärung unterzeichnet, worin sie die Bestimmung des Reichsmilitärgesetzes, nach 
der ordinierte Geistliche des Beurlaubtenstandes und der Ersatzreserve nicht zum Dienste 
mit der Waffe herangezogen werden, als ein Ausnahmegesetz und eine Zurücksetzung 
ihres Standes bezeichnen. Sie forderten, daß der evangelische Geistliche auch mit der 
Tat für die in seiner evangelischen Verkündigung aufgestellten höchsten sittlichen Forde 
rungen eintreten dürfe; der Zentralvorstand der evangelischen Pfarrvereine Deutschlands 
wurde ersucht, für eine gesetzliche Neuregelung einzutreten. 
Zu den schönsten Urkunden über die innere Haltung des deutschen Volkes in diesem 
Krieg gehört ein Bries, den Oberhosprediger D. Dryander im Einverständnis mit 
dem Generalsuperintendenten von Berlin, D. Lahusen und dem Misstonsdirektor Lic. theol. 
Axenfeld am 15. September 1914 als Antwort an einen angesehenen und ehrwürdigen 
französischen Geistlichen gerichtet hat, der sich an ihn mit der Bitte gewandt hatte, eine 
von ihm verfaßte internationale Deklaration zwecks humaner Kriegführung usw. mit zu 
unterzeichnen. In diesem Dokument, das für alle Zeit bleibenden Wert besitzt und u. a. 
auch von dev „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht worden ist, erklärt 
Oberhofprediger Dr. Dryander, nachdem er die für einen Deutschen offensichtliche Selbst 
verständlichkeit allen Forderungen der Deklaration dargetan hat, die Gründe seiner Unter 
schriftverweigerung folgendermaßen: „Wir lehnen sie ab, weil für uns auch nicht der 
entfernteste Anschein entstehen darf, als sei in Deutschland irgend eine Mahnung oder 
Bemühung erforderlich, damit der Krieg im Sinne dieser christlichen Anschauungen und 
der Forderungen der Barmherzigkeit und Menschlichkeit geführt werde. Es versteht sich, 
wie für unsere Heeresleitung, so für unser ganzes Volk von selbst, daß der Kampf ledig 
lich zwischen Soldaten zu führen sei unter sorgfältiger Schonung der Wehrlosen und 
Schwachen, wie unter unterschiedsloser Pflege der Verwundeten und Kranken. Es ist 
unsere wohlbegründete Ueberzeugung, daß diese Regel unsere ganze Armee beherrscht, 
und daß aus unserer Seite mit einem Maß von Selbstzucht, Gewissenhaftigkeit und Milde 
gekämpft wird, wie es vielleicht noch niemals in der Weltgeschichte der Fall gewesen ist. 
Wir haben nirgends, wie die russischen Mordbrenner, friedliche Dörfer und Städte 
zerstört oder die Bewohner gemartert oder grundlos erschossen. Wo die Zerstörung von 
Privateigentum oder die Hinrichtung von Franktireurs um der unerhörten Haltung der 
von ihren Regierungen schmählich mißleiteten Bevölkerung willen unabweislich war, 
haben unsere Führer das als eine schwere Pflicht betrachtet, bei der sie Unschuldige leiden 
lassen mußten, um unsere Verwundeten, Aerzte, Pflegerinnen vor heimtückischem Mord 
zu schützen. Wir haben keine Dumdumgeschosse gebraucht, von denen in Longwq und 
Maubeuge ganze Depots, in sorgfältiger Verpackung und in dem ursprünglichen, amt 
lichen Verschluß zur Ausgabe an die Truppen bereit, beschlagnahmt, und die zu Tausen 
den aus den Schlachtfeldern bei Franzosen und Engländern gefunden worden sind, eine 
Tatsache, deren Schande unser Kaiser selbst ans Licht gezogen hat (vgl. I, S. 325) und 
die außer allem Zweifel steht. Wir könnten noch weiter fortfahren, unterlassen es aber. 
Gewiß, hier ist der Protest des christlichen Gewissens nötig. Aber nicht von uns ist er 
zu erheben, als ob er sich auch gegen unser Volk und Heer richten müßte. Er ist die 
Pflicht der Völker, die diese Schmach aus sich geladen haben. Mögen die Christen es 
nicht an sich fehlen lassen!" 
Oberhofprediger Dr. Dryander stellt dann fest, daß vom Kaiser bis zum Taglöhner 
in Deutschland niemand den Krieg gewollt habe, daß das deutsche Volk, wie mehr und 
mehr auch aus den diplomatischen Akten hervorgehen werde, überfallen wurde und fährt
	        
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