Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Deutschlands wirtschaftliche u. sozialeOrganisation während des zweiten Kriegshalbjahres 47 
wirtschaftliche Annäherung an unsere Bundesgenossen, insbesondere an 
Oesterreich-Ungarn, ein. Man fing an mit der Möglichkeit zu rechnen, daß man auch 
nach dem Kriege einem wirtschaftlich geschlossenen Block unserer Feinde gegenüberstehen 
würde. Ganz von selbst tauchte da der Gedanke eines Wirtschaftsbündnisses mit 
Oesterreich-Ungarn auf, der, recht besehen, schon seit den Tagen des alten Zollvereins 
immer wieder von Zeit zu Zeit theoretisch erörtert worden war. Diese Idee trat bald aus 
dem Stadium der Erörterungen in der Presse in eine aktive Propaganda führender wirt 
schaftlicher Verbände ein. Ende Juni 1915 hielt der deutsch-österreichisch-ungarische Wirt 
schaftsverband eine Tagung ab, um die Möglichkeiten einer wirtschaftspolitischen Verbin 
dung zu untersuchen. Aber die Meinungen gingen hier sehr auseinander. Oesterreich-Ungarn 
verhielt sich skeptisch. Seine Industrie fürchtete von der weit stärkeren deutschen erdrückt 
zu werden, und auch politisch glaubte man durch eine Zollunion in eine zu große Ab 
hängigkeit von Deutschland zu geraten. Die Idee der Zollunion war damit vorerst begraben. 
Auch deutscherseits ließ man sie nunmehr fallen. Der Hansabund faßte eine Entschließung, 
in der er unter Abweisung einer Zollunion einer wirtschaftlichen Annäherung das Wort 
redete, die unter voller Berücksichtigung der Selbständigkeit der Vertragsstaaten und der 
Verschiedenheit der Produktionskosten der einzelnen Erwerbsgruppen mit Nutzen für 
sämtliche Vertragsteile durchgeführt werden müsse. In der vierten Juliwoche 1915 traten die 
mitteleuropäischen Wirtschaftsvereine in Berlin zu einer vertraulichen Besprechung zu 
sammen, um ebenfalls über die handelspolitische Annäherung zwischen Deutschland und 
Oesterreich-Ungarn zu beraten. Der deutsche Referent machte den Vorschlag, nicht er 
heblich unter dem Konventionaltarif zwischen den beiden Staaten eine Vorzugszollinie 
zu errichten, deren allmählicher Abbau in sehr langer Frist ins Auge zu fassen wäre. 
Der ungarische Referent befürwortete ein System der Vorzugszölle und hielt es für not 
wendig, daß Handelsverträge mit anderen Staaten unter gegenseitiger Unterstützung 
gleichzeitig abgeschlossen werden. Ferner würde eine möglichst große Angleichung der 
wirtschaftlichen Gesetzgebung notwendig sein. Die Regierung Oesterreich-Ungarns zeigte 
sich aber nicht geneigt, auf diese Anregungen der Wirtschaftsverbände einzugehen 
oder sich dazu auch nur irgendwie positiv zu äußern. Das Wiener „Fremdenblatt" 
schnitt in einer halbamtlichen Auslassung zunächst alle weiteren Erörterungen ab, indem 
es u. a. erklärte: Die Erörterungen seien heute verfrüht, da die militärischen Ereignisse 
noch im Flusse seien und die künftige politische Gestaltung Europas noch ungewiß sei. 
Es fehlten darum wichtige Voraussetzungen für eine sachgemäße Beurteilung der handels 
politischen Fragen. Daraufhin verstummte am Ende des ersten Kriegsjahres die Aussprache 
der wirtschaftspolitischen Annäherung Deutschlands und Oesterreich-Ungarns. 
Der Nahrungsmittelaufwand 
Die Kosten des Nahrungsmittelaufwandes zeigten im zweiten Kriegshalbjahre 
eine sprunghaft steigende Tendenz. Im ersten Kriegsmonat, im August 1914, war infolge 
der allgemeinen Ueberraschung und Verwirrung ein unnormales Steigen fast sämtlicher 
Lebensmittelpreise eingetreten, weil weite Kreise in ihrer Ratlosigkeit glaubten, sich auf 
alle, Fälle Kriegsvorräte anlegen zu müssen. Mit der Gewöhnung an die neuen Ver 
hältnisse, die der Krieg ganz allgemein mit sich brachte, hatte dann eine Rückwärts 
bewegung in der Preisgestaltung eingesetzt. Das war im September 1914. Aber bereits im 
nächsten Monat begann die Kurve wieder, erst langsam und dann ziemlich rasch, nach 
oben zu führen. Diese Aufwärtsbewegung dauerte fortan ununterbrochen bis zum 
Schlüsse des zweiten Kriegshalbjahres fort, ja erreichte hier eine derartige Höhe, daß 
die Regierungen des Reiches, der einzelnen Bundesstaaten und die Gemeinden sich zu 
weitgehenden Abwehrmaßnahmen entschließen mußten.
	        
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