Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

32 Das Deutsche Reich während des zweiten Kriegshalbjahres 
Die Schlußsitzung vom 29.Mai 1915. 
Nach Erledigung von Rechnungsvorlagen folgt die zweite und dritte Beratung des Ge 
setzentwurfs zur Einschränkung der Verfügung über Miet- und Pachtzinssord erungen, 
die von der Kommission unverändert einstimmig angenommen worden war, und auch vom 
Hause mit einer Aenderung angenommen wurde. Das Haus nimmt hierauf den Bericht 
der Budgetkommission über das ihr zur Durcharbeitung nach sozialen Gesichtspunkten 
überwiesene Manns chaftsversorgungs- und Militärhinterbli ebenen-Gesetz 
entgegen, nimmt dann die in der Kommission gestellten Anträge einstimmig an und über 
weist sie zusammen mit den bezüglichen Petitionen dem Reichskanzler als Material für 
die Ausarbeitung des Gesetzentwurfes. 
Ueber zwei Petitionen, die eine mit Vorschlägen für die Friedensverhandlungen, die 
andere mit der Forderung des sofortigen Friedensschlusses ohne Kriegsentschädigung, 
wurde nach längeren Erörterungen zur Tagesordnung übergegangen. 
Darauf wird der Antrag der Reichshaushalts-Etatskommission, wonach der Reichskanzler 
ersucht wird, bald einen Gesetzentwurf zu einer Aenderung des Versicherungs 
gesetzes für Angestellte einzubringen, einstimmig angenommen, ebenso weitere Anträge 
für die Aufstellung des Kriegswirtschaftsplans für das Jahr 1915/1916 
und die Gewährung von freier Eisenbahnsahrt für sämtliche Mannschaften 
bei Beurlaubungen während der Dauer des Krieges. 
Nach Erledigung einer größeren Anzahl von Petitionen wird dem Antrag zur 
Vertagung des Reichstages bis zum 10. August 1915 zugestimmt. 
Der Präsident erbittet und erhält die Ermächtigung, wenn die Verhältnisse es 
wünschenswert erscheinen lassen einige Zeit später als am 10. August die nächste Sitzung 
anzuberaumen und Tag und Stunde und Tagesordnung festzusetzen. 
Hierauf verliest der Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär Dr. Delbrück, 
die aus dem Großen Hauptquartier unter dem 29. Mai 1915 ausgefertigte Allerhöchste 
Urkunde, durch die der Reichstag bis zum 10. August 1915 vertagt wird. 
Der Präsident Dr. Kaempf schloß die Tagung mit folgenden Worten: „Meine Herren, 
damit sind wir am Ende unserer Beratungen angelangt. Ihnen allen wird der gestrige 
Tag die Erinnerung wachgerufen haben an den 4. August 1914, an dem wir uns vor 
die Tatsache des Weltkrieges gestellt sahen, den Neid, Haß und Begehrlichkeit unserer 
Feinde uns aufgedrängt haben. Lediglich der italienischen Regierung war es vorbehalten, 
diesem furchtbarsten aller Kriege den Treubruch hinzuzufügen, begangen an einer Bundes 
genossenschaft von mehr als dreißig Jahren. Nicht der Ausdruck des Rachegedankens 
Frankreichs, nicht der Haß Rußlands, nicht der Neid und der Aushungerungsversuch 
Englands hat das deutsche Gefühl — und dies auszusprechen habe ich ganz besonderen 
Anlaß in diesem Augenblick — so tief in seinem Innersten bewegt und erbittert, wie dieser 
Schritt der Regierung eines Landes, das seinen bisherigen Bundesgenossen so vieles von 
dem verdankt, was es im Laufe des letzten Menschenalters geworden ist. (Lebhafte Zu 
stimmung.) Meine Herren, mit dem Stolze, ja ich möchte beinahe sagen, mit der stolzen 
Verachtung, die jeder Deutsche einem Treubruch entgegenbringt, und mit ruhiger Ent 
schlossenheit wird das deutsche Volk unerschrocken auch diesem neuen Feinde gegenüber 
treten. Wir halten Treue unserem Verbündeten; wir vertrauen auf Gott und unser 
Recht, wir vertrauen auf die militärische Kraft und auf die wirtschaftliche Stärke 
unseres Vaterlandes. So trennen wir uns mit der unerschütterlichen Zuversicht, daß 
auch eine Welt von Feinden uns nicht vernichten kann, mit dem Ruse: Seine Majestät 
der Kaiser, Volk und Vaterland, sie leben hoch! hoch! hoch!* 
Das ganze Haus hat sich erhoben; die bürgerlichen Parteien stimmen mit erhobener 
Rechten lebhaft in den dreimaligen Hochruf ein.
	        
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