Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Die dritte und vierte Kriegstagung des deutschen Reichstags 29 
Die Sitzung vom 28. Mai 1915 
Präsident Dr. Kaemps eröffnet die Sitzung um 3 Uhr 20 Minuten mit einer Reihe ge 
schäftlicher Mitteilungen. Gleich daraus, noch vor Eintritt in die Tagesordnung, ergriff 
der Reichskanzler Dr. v. Bethmann Hollweg das Wort: 
„Meine Herren! Als ich vor acht Tagen zu Ihnen sprach, schien noch ein Schimmer 
von Hoffnung zu bestehen, daß das Losschlagen Italiens vermieden werden könnte. Die 
Hoffnung hat getrogen. Das deutsche Empfinden sträubte sich, an die Möglichkeit einer solchen 
Wendung zu glauben. Jetzthatdie italienische Regierung selbst ihrenTreubruch mitblutigen 
Lettern unvergänglich in das Buch der Weltgeschichte eingeschrieben. (Lebhafte Zustimmung.) 
Ich glaube, es war Machiavelli, der einmal gesagt hat, jeder Krieg, der notwendig 
sei, sei auch gerecht. War von diesem nüchternen, realpolitischen Standpunkt aus, der 
von allen moralischen Reflexionen absteht, war auch nur so gesehen, dieser Krieg not 
wendig? Ist er nicht vielmehr geradezu sinnlos? Niemand bedrohte Italien, weder 
Oesterreich-Ungarn, noch Deutschland. Ob die Tripleentente es bei Lockungen hat be 
wenden lassen, das wird ja die Geschichte späterhin zeigen. Ohne einen Tropfen Blut, 
ohne das Leben eines einzigen Italieners zu gefährden, konnte Italien die lange Liste 
der Konzessionen haben, die ich Ihnen neulich verlesen habe: Land in Tirol, am Jsonzo, 
soweit die italienische Zunge klingt, Befriedigung nationaler Wünsche in Triest, freie 
Hand in Albanien, den wertvollen Hafen in Valona. Warum haben die Herren Sa- 
landra und Sonnino das nicht genommen? Wollen sie etwa auch das deutsche Tirol 
erobern? Hände weg! (Stürmischer Beifall.) Oder will sich Italien an Deutschland 
reiben, an dem Lande, dem es doch bei seinem Werden zur Großmacht so manches zu 
verdanken hat, an dem Lande, von dem es durch keinerlei Interessengegensätze getrennt 
ist? Wir haben in Rom keinen Zweifel darüber gelassen, daß der italienische Angriff 
auf österreichisch-ungarische Truppen auch deutsche Truppen treffen wird. (Lebhaftes Bravo!) 
Weshalb hat denn also Rom die weitgehenden Anerbietungen Wiens so leichtherzig ab 
gelehnt? Das italienische Kriegsmanifest, ein Dokument, das schlechtes Gewissen hinter 
hohlen Phrasen verbirgt, gibt uns keinen Aufschluß. Man hat sich vielleicht doch ge 
scheut, offiziell auszusprechen, was man durch die Presse und durch die Gespräche der 
parlamentarischen Wandelgänge als Vorwand verbreiten ließ, die österreichischen An 
gebote seien zu spät gekommen, und man habe ihnen nicht mehr trauen können. 
Wie steht es denn in Wirklichkeit damit? Die römischen Staatsmänner hatten doch 
wohl kein Recht, an die Vertrauenswürdigkeit anderer Nationen denselben Maßstab an 
zulegen, den sie sich für die eigene Vertragstreue gebildet haben. (Große Bewegung.) 
Und Deutschland bürgte mit seinem Wort dafür, daß die Konzessionen durchgeführt 
würden. Meine Herren, da war kein Raum für Mißtrauen. Und weshalb zu spät? 
Das Trentino war am 4. Mai kein anderes Land, als es im Februar gewesen wäre, 
und im Mai war zum Trentino noch eine ganze Reihe weitgehender Konzessionen hinzu 
gekommen, an die im Winter nicht einmal gedacht war. Nein, meine Herren, zu spät 
war es, weil die römischen Staatsmänner sich nicht gescheut hatten, schon vorher, wäh 
rend der Dreibund noch leibte und lebte — derselbe Dreibund, von dem der König 
und die Regierung in Rom auch nach dem Ausbruch des Weltkrieges ausdrücklich an 
erkannt hatten, daß er weiterbestehe, weil Herr Sonnino sich lange vorher mit der 
Tripleentente so tief eingelassen hatte, daß er sich aus ihren Armen nicht mehr los 
winden konnte. Schon im Dezember traten Anzeichen für eine Schwenkung des römischen 
Kabinetts auf. Zwei Eisen im Feuer zu haben, ist ja immer nützlich, und Italien hatte 
uns auch früher schon seine Vorliebe für Extratouren gezeigt. Aber hier, meine Herren, 
war kein Tanzsaal, — hier ist die blutige Walstatt, aus der Oestereich-Ungarn und 
Deutschland für ihr Leben fechten. (Lebhafte Zustimmung.)
	        
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