Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

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306 Italien und der Vatikan bis zum Ausbruch des italienischen Krieges 
Italien im Kriegstaumel 
Die Kriegserklärung wurde, wie wenigstens die italienischen Zeitungen versicherten, 
in allen Städten mit der größten Begeisterung aufgenommen. Ueberall umarmten sich 
die Bürger und Soldaten, ja, „Secolo" erzählte, daß sogar die Reservisten ihre Offiziere 
umarmt hätten. In Rom wurde in Erwartung der Kriegserklärung in der Villa 
Borghese ein patriotischer Blumenkorso abgehalten. Unter den festlich geschmückten 
Wagen nahm der Wagen der Jrredenta den ersten Platz ein. Die Blumenschlacht 
dauerte eine Stunde. Sodann zogen die von Bersaglieri und Kavalleristen besetzten 
Blumenwagen unter jubelnd erwiderten Hochrufen auf den Krieg und unter dem Gesang 
patriotischer Lieder über den Korso. In Turin dagegen, wo die Bevölkerung am 
wenigsten kriegstoll war, wurden zahlreiche Verhaftungen von Sozialdemokraten vor 
genommen. Doch der von der Entente engagierte belgische Abgeordnete und Wander 
redner Destrse wußte durch seine aufreizenden Vorträge das Publikum auch hier in flam 
mende Begeisterung zu versetzen. 
Die Hetzpresse überschäumte natürlich von Pathos. So schrieb der „Popolo d'Jtalia": 
„Wir hassen Deutschland, weil es uns vor aller Welt zu vergiften, zu korrumpieren und 
zu entehren versuchte." Aber die „Stampa" führte doch aus, es sei eine unumgängliche, 
dringende und gebieterische Notwendigkeit, daß Italien siege. Andere Völker könnten 
sich schließlich einmal eine Niederlage leisten. Italiens Los aber wäre besiegelt, wenn 
es nicht siegte. Italien müsse also nicht nur seine Pflicht tun, sondern noch mehr als 
seine Pflicht. Es müsse siegen, siegen, siegen!" 
Nach der ungeheuren Erregung der letzten Tage wirkte der tragische Ernst der Mobil 
machung vielfach ernüchternd. Die Kriegspresse behauptete zwar, daß die so heiß er 
sehnte Verfügung der Regierung allenthalben mit Begeisterung begrüßt worden sei und 
daß alle Italiener, ohne Ausnahme, nur den einen glühenden Wunsch im Herzen trügen, 
sich mit den verhaßten „Tedeschi" zu schlagen. Dagegen wußte der „Avanti", das 
sozialistische Organ, zu berichten, daß die Mobilmachung, zumal in den Mailänder 
Volksquartieren, tiefe Niedergeschlagenheit hervorgerufen habe. „Und doch gab es," 
wie der „Neuen Zürcher Zeitung" berichtet wurde, „gerade im Norden des Landes, in 
der Lombardei, Venetien, der Emilia und der Romagna, teilweise auch in Piemont 
ungleich mehr Kriegsfreunde als in den weiten Provinzen Mittel- und Süditaliens, 
was nicht überraschen kann, wenn man bedenkt, daß Mailand und Venedig auch während 
der langen Periode des Bestandes des Dreibundes niemals von der Dreibundspolitik be 
geistert waren. Daß ferner die „Alten", in deren Seelen noch die Erinnerungstöne von 
Custozza und Solserino widerklangen, eifriger zu einem neuen Waffen gang mit dem 
Gegner von 1859 und 1866 bereit waren, als jene Altersklassen des Volkes, die im 
Vertrauen auf die Kraft des Dreibundes herangewachsen waren, in deren Jdeenkreis 
Wilhelm II. die Aureole des mächtigen Protektors Italiens trug, erschien ebenso erklär 
lich, wie, daß die Jüngsten, die Studenten und deren Altersgenossen, die in diesen 
Tagen das aktivste Element aller Straßendemonstrationen bildeten, in ihrer überschäumen 
den Jugendkraft die eifrigsten Herolde des Krieges abgaben. 
Aehnlich verschieden war die Beurteilung der großen Schicksalsfrage Italiens zwischen 
Städtern und Landleuten. Fand man in den Städten, hier in größerer, dort in ge 
ringerer Zahl, begeisterte Anhänger der Kriegsidee, so scharte sich dagegen die Land 
bevölkerung einstimmig um das Banner des Neutralismus. Wenn man Gelegenheit 
hatte, die erschütternden Szenen zu sehen, die sich bei der Abreise der Einberufenen 
abspielten, wenn man diese von Gram und Kummer gebeugten Eltern und Gattinnen 
mit stumpfer Verzweiflung ihren Söhnen oder ihren Ernährern das letzte Geleite unter 
Tränen geben sah, so konnte man sich überzeugen, daß in Italiens Landvolk der Ge-
	        
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