Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

296 Italien und der Vatikan bis zum Ausbruch des italienischen Krieges 
Am Abend des 18. Mai 1915 fand eine große Kundgebung auf dem Kapitol 
statt, an der mehrere tausend Menschen teilnahmen. Dabei hielt Principe Colonna, der 
Bürgermeister von Rom, umgeben von allen Assessoren und Stadträten von der Höhe 
der berühmten Doppeltreppe des mit Fahnen geschmückten Senatorenpalastes eine patrio 
tische, aber im Gegensatz zu manchen anderen Reden der letzten Tage maßvolle An 
sprache. Unter anderem sagte er: Wir müssen den Blick auf unseren jungen König 
richten und uns daran erinnern, daß, wenn er uns eine Bahn weist, wir die Pflicht 
haben, ihm vertrauensvoll zu folgen, und schloß mit einem begeistert aufgenommenen 
Evriva il Be! Dann ergriff der sozialistische Abgeordnete Podrecca das Wort zu 
einer Lobrede aus Marine und Heer, die jedoch durch die Ankunft d'Annunzios 
unterbrochen wurde. Letzterer trat neben den Bürgermeister und sprach seinerseits 
zum Volk, indem er unter lautem und stets erneuertem Beifall den Entschluß des 
Königs feierte. Nach d'Annunzios Rede zogen die Demonstranten unter Absingen von 
nationalen Liedern, während die große Glocke des Kapitolturmes ertönte, die sonst nur 
an nationalen Feiertagen geläutet wird, zur französischen Botschaft; der französischen 
Fahne wurde von der Menge durch Verneigung ihrer Fahnen und mit Hochrufen ge 
huldigt. Der französische Botschafter Barröre erschien auf dem Balkon des Palais 
Farnese und warf mit dem Ruse „Ewiva l’ltalia!“ Blumen auf die huldigende Menge. 
Dann hielt er eine französische Ansprache, in der er sagte, daß er in der Kundgebung des 
römischen Volkes die erfreulichen Auspizien für den gemeinsamen Krieg der Franzosen 
und Italiener sehe. Auf seine erneuten Rufe: „Evviva l’Italia!“ wurde mit lebhaften 
Hochrufen auf Frankreich geantwortet; die Begeisterung war nicht geringer als bei den 
Kundgebungen vor der englischen Botschaft am 15. Mai 1915, als der englische Bot 
schafter Rennell Rodd und seine Gemahlin der Menge Blumen und Kußhände zu 
warfen. 
Die sozialistische Partei aber erließ im „Avanti" vom 19. Mai 1915 einen Aufruf 
an die Nation, in dem es heißt: „Eine freche Minderheit von Herren und Ge 
walttätigen, im geheimen genährt von der Frankreich ergebenen Freimaurerklique, und 
unterstützt von der Polizei und den unreifen Elementen, die diese aufzuhetzen weiß, hat 
sich in einigen Hauptstädten der Straße bemächtigt, beschimpft die Volksvertretung 
und möchte die Gewissens« und Preßfreiheit aufheben. Gegenüber so viel Uebermut, 
den die Regierung schützt und pflegt, muß das Volk seine gewaltige Stimme erheben, 
bevor das Parlament zusammentritt. Während man in Rom mit allen Mitteln ver 
sucht, die Freiheit und den Willen derjenigen Abgeordneten zu unterdrücken, die sich dem 
Krieg widersetzen, donnere von einem Ende bis zum andern der Halbinsel der feierliche 
Protest des italienischen Volkes. Das italienische Proletariat wird vielleicht heute, wo 
schon so viel Söhne des Volkes Uniform haben anziehen müssen, nicht mehr im Stande 
sein, den Krieg zu verhindern, aber in seinen Versammlungen will es noch einmal laut 
verkündigen, daß es mit der im Dunklen ausgeheckten Unternehmung des Imperialismus 
keine Gemeinschaft hat und die Verantwortung für die Folgen derselben vollständig den 
Urhebern überläßt." 
Der Beschluß des Parlaments am 2O. Mai 1915 
Die Sitzung der Kammer 
Rom verriet am Morgen des 20. Mai 1915 schon durch sein äußeres Aussehen, daß 
ein historischer Tag war. Viele Häuser trugen, nach dem Bericht des „Berliner Tage 
blatts", Flaggenschmuck, und seit den ersten Morgenstunden füllten wachsende Mengen 
die Straßen. Zuerst verließen die Studenten und Gymnasiasten ihre Lehrsäle und ließen 
in allen Quartieren die Häuser, die noch ohne Fahnenschmuck dalagen, flaggen. Die
	        
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