Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Italiens Entschluß zum Kriege; von Anfang Mai bis zum 21. Mai 1915 295 
Empfinden gehandelt hat, aus Furcht vor der Straße und vor der angedrohten Revolution, 
getrieben von seiner montenegrinischen Gemahlin und auch von seiner Mutter, der 
Königin Margherita, die, wie man sagt, durch einen belgischen Beichtvater zur Entente 
hinübergezogen wurde. Wenigstens soll er noch Ansang Mai 1915 einer hochgestellten 
Persönlichkeit gegenüber geklagt haben: „Hätte Oesterreich im Januar oder auch Fe 
bruar 1915 nur annähernd das geboten, was es schließlich zu geben bereit war, so wäre 
alles anders gekommen." Und doch hätte der König nach dem Rücktritt des Kabinetts 
Salandra den Führer der Kammermehrheit, Giolitti, dessen Politik 300 Deputierte und 
100 Senatoren zugestimmt hatten, zur Neubildung des Kabinetts berufen müssen. Aber 
er unterließ die Aufforderung an Giolitti, da er sich offenbar durch seine Zustimmung 
zum Anschluß an den Dreiverband gebunden fühlte. Das bestätigt die „Kreuzzeitung", 
der aus dem Haag berichtet wurde, die dortigen diplomatischen Kreise seien über 
zeugt, daß der König von Italien schon lange vor den Verhandlungen mit Oesterreich- 
Ungarn Italiens Politik an der Seite des Dreiverbandes durch persönlichen Brief 
wechsel mit König Georg von England, dem Zaren und Poincarö festgelegt habe. Wäre 
er im letzten Augenblicke von seinen bereits eingegangenen Verpflichtungen zurückgetreten, 
so hätte er unliebsame Enthüllungen aus dem Dreiverbandlager zu erwarten gehabt. 
Als Giolitti einsah, daß er nur dann seinen Friedenswillen durchsetzen könnte, wenn 
er den König zwingen würde, ihm die Regierung zu übertragen und in den dann 
folgenden unvermeidlichen Bürgerkämpfen für seinen Thron zu kämpfen, und als er des 
halb nachgab, verschwanden auch seine Anhänger, eingeschüchtert durch die Knüppelhelden 
der Regierung und in Rücksicht darauf, daß der italienische Durchschnittsdeputierte, nicht 
nur Vertreter seiner Wähler auf politischem, sondern auch auf persönlichem und mate 
riellem Gebiet ist und sich deshalb mit den Machthabern am Ministertisch leidlich stellen 
muß. Giolitti zog als stiller Mann ab, verfolgt vom Triumphgeheul der „Piazza". 
Fürst Bülow, der andere Mann, von dem die friedliebenden Italiener ihr Heil er 
hofften, hatte getan, was in seinen Kräften stand. Er wußte die Consulta von über 
eilten Entschlüssen abzuhalten, bis Oesterreich-Ungarn sich mit ihr über die Grundlagen 
der Verhandlung geeinigt hatte, er hat mit kaltblütiger Meisterschaft und stählernen 
Nerven auch in den letzten aufregenden Tagen der Krifis stets die Ereignisse beherrscht. 
Als aber der König gesprochen hatte, war auch seine Rolle ausgespielt. Fürst Bülow 
selbst soll, wie F. L. Gras v. Voltolini in der „Neuen Zürcher Zeitung" erzählt, nach 
seiner Rückkehr nach Deutschland folgendes als Hauptursachen für das Mißlingen seiner 
Bemühungen bezeichnet haben: das lange, andererseits allerdings durchaus begreifliche 
Zögern Oesterreich-Ungarns, die Kriegslage, besonders die Eroberung von Przemysl 
durch die Russen, und den peinlichen Eindruck, den die offiziösen Versuche eines deutschen 
Reichstagsabgeordneten, auf dem Umwege über den Vatikan auf die italienische Regie 
rung einzuwirken, gemacht hätten. Die revolutionäre Presse hörte nicht aus, gegen den 
Fürsten Bülow heftige Angriffe zu richten, die aber trotz des Kriegsfiebers in vielen 
Kreisen mißbilligt und bedauert wurden. Selbst der radikale „Messaggero" ermahnte 
seine Gesinnungsgenossen, nicht zu vergessen, daß Fürst Bülow seine Pflicht tat, als er 
die Interessen seines Vaterlandes verteidigte. 
Die Freude der Kriegsfreunde und der „Piazza" über die Entschließung des Königs 
war groß. Am Morgen des 17. Mai 1915 zog eine ungeheure Menschenmenge zum 
Quirinal; sie trug Fähnchen mit den Farben der Ententemächte und brachte Hochrufe 
auf den König, die Minister Salandra und Sonnino aus. Die Rufe „Hoch der Krieg!" 
nahmen kein Ende. Auch den Dichter d'Annunzio empfing der König in der Villa Ada, 
begrüßte ihn am Parktor, überhäufte ihn mit Worten größter Herzlichkeit und Bewun 
derung und erging sich fast eine Stunde lang mit ihm im Park.
	        
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