Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

294 Italien und der Vatikan bis zum Ausbruch des italienischen Krieges 
der Via Nazionale fanden Kundgebungen und Kavallerieattacken bis gegen zwei Uhr 
morgens statt. Die Regierung zog 25 000 Mann Truppen aus der Umgebung zusammen 
und teilte Rom in vier militärische Zonen ein. Die Militärbehörde übernahm die Auf 
rechterhaltung der Ordnung. 
Gegen diese Kriegspsychose anzukämpfen, erschien kaum noch möglich. Rom, Mailand, 
Neapel, Genua wollten den Krieg, und die Intellektuellen, deren kulturelle Einsicht den 
Krieg unbedingt vermieden wissen wollte, mußten oder wollten untätig zuschauen, weil 
sie sich nicht entschließen konnten, in den Lärm der Gasse herabzusteigen. Mit kleinen 
Demonstrationen fing es an, mit der Alternative: „Krieg oder Revolution" hatte man 
bald die Mehrheit im Parlament und in der Bevölkerung eingeschüchtert. 
Die Entscheidung des Königs 
Unterdessen eröffnete der König am Morgen des 14. Mai 1915 die Konferenzen zur 
Lösung der Krise, empfing den Kammerpräsidenten Marcora und später Giolitti, ans* 
Nachmittag Salandra und nach ihm nochmals Marcora. Die Neubildung des Kabinetts 
hat er dem Kammerpräsidenten Marcora und dann dem bisherigen Finanzminister Car- 
cano angetragen; beide lehnten den Auftrag jedoch ab. Der König entschloß sich darauf 
am 16. Mai, die Demission des Kabinetts Salandra nicht anzunehmen. 
„Es wäre nicht ganz uninteressant, festzustellen," schreibt das „Berliner Tageblatt", 
„ob in der italienischen Komödie der König die treibende Kraft oder die getriebene 
Schwachheit war. Selbst diejenigen, die es am ehesten wissen könnten, waren sich dar 
über nicht immer klar. Weil Viktor Emanuel der Zweite in den Kulissen blieb, weil 
er ziemlich neurasthenisch zu sein schien, weil es in der Ehe mit der hübschen Monte 
negrinerin ersichtlich kleine Verstimmungen gab, und weil eine einflußreiche Persönlichkeit 
in seiner Umgebung für deutschfreundlich galt, meinte man, er teile nicht den Kriegs 
wahn der anderen und weiche nur aus Furcht vor einer Revolution immer weiter 
zurück. Aber dieser körperlich zu kurz geratene König war doch geistig immer regsam 
und selbständig gewesen, und auch der Verlauf der langen Krisis zeigt, daß ihm ein 
Anteil, und wohl ein Hauptanteil an der Schuld gebührt. Viktor Emanuel war bei 
der Berufung der Minister in seiner Bewegungsfreiheit kaum gehemmt gewesen, er hielt 
Giolitti fern und wußte, als er Sonnino zum Nachfolger des verstorbenen San Giuliano 
machte, genau, was er tat. Er war ganz zweifellos mit dem Vorgehen seiner Regierung 
einverstanden und ist sicher für den Treubruch Italiens hervorragend mitverantwortlich." 
„König Viktor Emanuel hat sein Wort gebrochen," schreibt die „Deutsche Tages 
zeitung", „und zwar ein Wort, das er mündlich und schriftlich im Laufe der Jahre 
wiederholt zu bekräftigen Gelegenheit genommen hat, so noch Anfang April 1914 in dem 
Telegramm an den Kaiser Franz Joses (vgl. S. 272, 273). Und gewiß wird auch richtig 
sein, daß Viktor Emanuel dem Fürstbischof von Wien gesagt hat, man könne ganz 
beruhigt sein, er wäre der erste aus dem Hause Savoyen, der sein Wort bräche. War 
doch in politischen Kreisen bekannt, daß der König einige Zeit nach dem Ausbruch des 
Krieges äußerte, er würde lieber abdanken als untreu gegen seine Bundesgenossen handeln." 
Der schöne Eifer des Königs, feine tätige Vertragstreue zu zeigen, verschwand mit 
der Julikrisis 1914 sofort; Italien blieb neutral. Der König soll damals die Illoyalität 
seiner Handlungsweise enipfunden und sich geschämt haben. Von glaubhaften Seiten 
wurde von schweren Nervenkrisen und Weinkrämpfen des Königs gesprochen. Kurz, es 
liegen mancherlei Beweise dafür vor, daß König Viktor Emanuel sich schon damals als 
wortbrüchig fühlte. Nun hat er sich auch noch zu all den komödiantenhaften Demon 
strationen hergegeben, die diesen Treubruch als eine nationale Tat erscheinen lassen 
sollten. Er selbst empfand wohl bitter, daß er aus eigener Schwäche gegen besseres
	        
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