Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

276 Italien und der Vatikan bis zum Ausbruch des italienischen Krieges 
Serbiens zu schützen und die Fortsetzung einer Agitation zu verhindern, die geradezu auf 
die Zerstückelung Oesterreich-Ungarns ausging und zahlreiche Attentate und schließlich 
die Tragödie von Serajewo im Gefolge hatte, konnte die Interessen Italiens in keiner 
Weise berühren. Denn die K. und K. Regierung hat niemals vorausgesetzt und hält es 
für ausgeschlossen, daß die Interessen Italiens irgendwie mit den verbrecherischen Um 
trieben identifiziert werden könnten, die, gegen die Sicherheit und die Gebietsintegrität 
Oesterreich-Ungarns gerichtet, von der Belgrader Regierung leider geduldet und ermutigt 
worden waren. Die italienische Regierung war übrigens davon in Kenntnis gesetzt und 
wußte, daß Oesterreich-Ungarn in Serbien keine Eroberungsabsichten hatte. Es ist in 
Rom ausdrücklich erklärt worden, daß Oesterreich-Ungarn, wenn der Krieg lokalisiert 
bliebe, nicht die Absicht habe, die Gebietsintegrität oder die Souveränität Serbiens an 
zutasten. Als infolge des Eingreifens Rußlands der rein lokale Streit zwischen Oesterreich- 
Ungarn und Serbien im Gegensatze zu unseren Wünschen einen europäischen Charakter 
annahm und sich Oesterreich-Ungarn und Deutschland von mehreren Großmächten an 
gegriffen sahen, erklärte die Königliche Regierung die Neutralität Italiens, ohne jedoch 
die geringste Anspielung darauf zu machen, daß dieser von Rußland hervorgerufene und 
von langer Hand vorbereitete Krieg geeignet sein könnte, dem Dreibundvertrage seinen 
Existenzgrund zu entziehen. Es genügt, an die Erklärungen, die in jenem Zeitpunkte 
weiland Marchese di San Giuliano abgab, und an das Telegramm, das Seine Majestät 
der König von Italien am 2. August 1914 an Seine Majestät den Kaiser und König 
richtete (vgl. S. 272), zu erinnern, um festzustellen, daß die Königliche Regierung damals in dem 
Vorgehen Oesterreich-Ungarns nichts sah, was den Bestimmungen unseres Bundesvertrages 
entgegen gewesen wäre. Von den Mächten des Dreiverbandes angegriffen, mußten 
Oesterreich-Ungarn und Deutschland ihre Gebiete verteidigen, aber dieser Verteidigungs 
krieg hatte keineswegs „Die Verwirklichung eines den Lebensinteressen Italiens entgegen 
gesetzten Programmes" zum Ziele. Diese Lebensinteressen oder das, was uns von ihnen 
bekannt sein konnte, waren in keiner Weise bedroht. Wenn übrigens die italienische 
Regierung in dieser Hinsicht Bedenken gehabt hätte, so hätte sie sie geltend machen können, 
und sicherlich hätte sie sowohl in Wien als auch in Berlin den besten Willen zum Schutze 
dieser Interessen gefunden. 
Die Königliche Regierung war damals der Ansicht, daß sich ihre beiden Verbündeten 
nach Lage der Dinge Italien gegenüber nicht auf den Bündnisfall berufen konnten, aber 
sie machte keine Mitteilung, die zu dem Glauben berechtigt hätte, daß sie das Vorgehen 
Oesterreich-Ungarns als eine „flagrante Verletzung des Wortes und des Geistes des 
Bündnisvertrages" ansehe. 
Die Kabinette von Wien und Berlin ließen, wenn sie auch Italiens Entschluß, neu 
tral zu bleiben — einen Entschluß, der nach unserer Ansicht mit dem Geist des Ver 
trages kaum vereinbar war — bedauerten, die Ansicht der italienischen Regierung den 
noch in loyaler Weise gelten, und der Meinungsaustausch, der in jenem Zeitpunkte statt 
fand, stellte die unveränderte Aufrechterhaltung des Dreibundes fest. 
Gerade mit Berufung auf diesen Vertrag, insbesondere auf dessen Artikel 7, legte uns 
die Königliche Regierung ihre Ansprüche vor, die dahin gingen, gewisse Entschädigungen 
für den Fall zu erhalten, daß Oesterreich-Ungarn seinerseits aus dem Kriege Vorteile 
territorialer oder anderer Natur aus der Balkanhalbinsel zöge. Die K. und K. Regierung 
nahm diesen Standpunkt an und erklärte sich bereit, die Frage einer Prüfung zu unter 
ziehen, indem sie gleichzeitig daraus hinwies, daß es, solange man nicht in Kenntnis der 
Oesterreich-Ungarn eventuell zufallenden Vorteile sei, schwer wäre, hierfür Kompensationen 
festzusetzen. Die Königliche Regierung teilte diese Auffassung, wie sowohl aus der Er 
klärung des seither verstorbenen Marchese di San Giuliano vom 25. August 1914 her-
	        
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