Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Italien als neutraler Staat von August 1914 bis Anfang Mai 1915 271 
Noch viel schlimmer aber lag es mit der St einkohlen ein fuhr. Da Italien für 
die Deckung feiner mineralischen Brennstoffe ganz aufs Ausland angewiesen war, schon in 
Friedenszeiten 9 / 10 seines Kohlenbedarfs von 11 bis 12 Millionen Tonnen aus Groß 
britannien bezog, und England bereits während der ersten zehn Kriegsmonate rund zwei 
Millionen Tonnen weniger lieferte, Deutschland aber in Rücksicht auf den gesperrten 
Seeweg für diesen gewaltigen Ausfall nicht beigezogen werden konnte, geriet Italien in weit 
gehende wirtschaftliche Abhängigkeit von England. Wie schwer der Druck war, ist gleichfalls 
aus den Mitteilungen Franz Lipps im „März" ersichtlich. Nachdem Italien auf seinen 
Hilferuf nach mehr Heizungsmaterial in den Monaten März und April 1915 von Deutsch 
land genau 153000 und 132000 Tonnen Kohle erhalten hatte, also 84000 Tonnen mehr 
als in denselben Monaten des Vorjahres, folgte die englische Strafe augenblicklich. 
Die großbritannische Kohlenzufuhr stürzte von 715 000 Tonnen im März auf 462000 
im April. Der Ausfall gegen das Vorjahr betrug in diesen beiden Monaten allein 
599000 Tonnen, er vermehrte sich im Mai um weitere 402000 Tonnen, da anstatt 
849000 Tonnen im Jahre 1914 nur 447 000 Tonnen eingeführt wurden. Der Versuch 
Deutschlands, Italien zu helfen, war also nicht nur gescheitert, sondern hatte Italien 
selbst auch noch empfindlichst geschädigt. 
Aber damit noch nicht genug. Rohstoffe, vor allem Kupfer und Halbfabrikate, 
die für die junge Industrie Oberitaliens so überaus notwendig sind, blieben aus; Eng 
land sah mit äußerster Strenge und Rücksichtslosigkeit daraus, daß Italien von den als 
Kriegskonterbande erklärten Waren auch nicht ein Gramm zum Ueberfluß erhielt. Fast 
alle Gewerbe und Industrien hatten darunter schwer zu leiden. Besonders hart wurde 
nach Angaben der „Neuen Zürcher Zeitung", die Seidenindustrie betroffen, die in 
gewöhnlichen Zeiten (1909) 232468 Arbeitern ein Unterkommen bietet und im Jahre 1904 
Werte in der Höhe von 400 Millionen Lire produzierte. Auch die Wollmanufaktur 
mit etwa 250000 Arbeitern und (1908) etwa 250 Millionen Lire Jahresproduktion lag 
infolge der schwierigen, ja zuletzt fast unmöglichen Rohstoffbeschaffung (Wolle und Farb 
stoffe) sehr darnieder. Ebenso klagte die chemische Industrie, die sich in den letzten 
Jahren ziemlich stark entwickelt hatte (1903: 34994 Arbeiter; 1911: 103831 Arbeiter und 
153 785 000 Lire Jahresproduktion). Naturgemäß machte sich die allgemein schlechte Lage auch 
in verminderten Aufträgen für die schwere Industrie und besonders für den Maschinenbau 
bemerkbar. Dagegen hatten die Nahrungsmittelindustrien, Schuhfabriken, 
einzelne Metallindustrien, und vor allem die Baumwollwebereien und die 
Automobilindustrie durch Kriegsaufträge der italienischen Regierung, die zu hohen 
Preisen vergeben und bar bezahlt wurden, goldene Zeiten. Was den Baumwollwebereien 
hierbei besonders zustatten kam, war, daß sich infolge der vorausgegangenen schlechten 
Zeiten ungeheure Rohvorräte angesammelt hatten, die nun plötzlich Absatz fanden. 
Auch die Landwirtschaft hatte begründeten Anlaß zur Unzufriedenheit. Zwar war 
der Ertrag an Wein, Südfrüchten, Gemüsen und Hanf befriedigend, aber die Schwierig 
keiten, die durch zeitweise Ausfuhrverbote, durch Wagenmangel und dergleichen dem 
Export erwuchsen, auf den ein großer Teil der Produzenten angewiesen ist, und die, 
besonders zu Ansang des Krieges, sehr niedrigen Preise für Landesprodukte brachten 
große Geldeinbußen und setzten die Kaufkraft der landwirtschaftlichen Bevölkerung (1901 
59,4 Prozent der Gesamtbevölkerung) herab. 
All diese Schwierigkeiten zusammen, die Teuerung und die Arbeitslosigkeit infolge von 
Mangel an Roh-und Hilfsmaterialien, haben Unruhen und Aufstände veranlaßt, so 
am 18. und 19. März 1915 in Venedig, so in Ferrara und in einzelnen Orten Apuliens in 
der Provinz Leere, in Sizilien und in Sardinien. Dazu kam schließlich noch die heftige 
Agitation der Schiffs- und Hafenarbeiter, die eine ununterbrochene Kette von Ausständen
	        
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