Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

268 Italien und der Vatikan bis zum Ausbruch des italienischen Krieges 
Der Einfluß des Krieges 
auf das Wirtschaftsleben des neutralen Italiens 
Wie die meisten neutralen Länder hatte auch Italien unter den Folgen des Welt 
krieges empfindlich zu leiden, besonders deswegen weil es einmal mit den kriegführenden 
Ländern in enger Verbindung stand und dann weil es von der Krisis überrascht wurde, 
als es sich noch nicht von den Nachwehen des libyschen Krieges erholt hatte. 
Die ersten Folgen für Italien waren ein vollkommenes Aufhören der Auswanderung 
und ein unerwartet starkes Rückströmen der in den kriegführenden Ländern beschäftigten 
Arbeiter und ihrer Angehörigen, deren Zahl aus weit über 500 000 geschätzt wird. Da 
durch wurde die schon vorher bestehende und durch den Krieg noch gesteigerte Arbeits 
losigkeit zu einer nationalen Kalamität, die die Regierung zwang, 100 Millionen Lire 
zur Milderung der hervorgerufenen Not auszuwerfen. Eine andere, nicht weniger fühl 
bare Folge der Rückwanderung so großer Arbeitermassen war das Ausbleiben der so 
genannten Emigrantenrimessen, der von den Auswanderern in die Heimat geschickten 
Ersparnisse, die auf jährlich rund 500 Millionen Lire geschätzt werden und beträchtlich 
dazu beitragen, die passive Handelsbilanz des Landes auszugleichen. 
Ebenso schwer traf Italien die bei Kriegsbeginn einsetzende Flucht der Fremden, deren 
Zahl der Direktor der Banca d'Jtalia, Comm. Stringher, nach der „Neuen Zürcher 
Zeitung" auf jährlich 900 000 schätzt, und die ebenfalls etwa 500 Millionen Lire jährlich 
ins Land brachten. Die Schädigung der bedeutenden Fremdenindustrie hat dem wirt 
schaftlichen Leben des Landes tiefe Wunden geschlagen. 
Nach dem Anfang Mai 1915 erschienenen Bericht über die Finanzlage Italiens hat 
der Weltkrieg auch die italienische Regierung zu riesigen, außergewöhnlichen Aus 
gaben gezwungen. So hat das Kriegsministerium vom 1. August 1914 bis zum 
31. März 1915 1660000000 Lire ausgegeben, über eine halbe Milliarde Lire mehr, als 
in der gleichen Periode 1913/14. Das Marineministerium hat 399 545 547 Lire veraus 
gabt, 156V 2 Millionen Lire mehr, als in der gleichen Periode des vorhergegangenen Jahres. 
Die Gesamtausgabe aller Ministerien übertrifft die Gesamtausgabe der vorangegangenen 
Jahre um nicht weniger als 1501217 635 Lire. Die wirtschaftliche Wirkung dieser 
gewaltigen Ausgabensumme wird noch verschärft durch den Rückgang der Einnahmen 
besonders aus Perbrauchszöllen und Steuern, der in den ersten fünf Monaten des Kriegs 
nicht weniger als 60 Millionen Lire ausmachte, und seither bis Ansang Mai 1915 natürlich 
weiter und in steigendem Maße anhielt. Dazu kommt, daß die Regierung zur Erleich 
terung der Einfuhr die Eingangszölle aus verschiedene Nahrungsmittel herabsetzte oder 
gänzlich aufhob, wie dies z. B. beim Getreide der Fall war, dessen Zoll im Oktober 
1914 von 7 Lire 50 auf 3 Lire ermäßigt und im Frühjahr 1915 ganz abgeschafft wurde. 
Auch die Bahnsrachten wurden zwecks Verbilligung des Getreidepreises ermäßigt. 
Die Regierung hat zu den verschiedensten Mitteln greifen müssen, um diese außergewöhn 
lichen Ausgaben- und Einnahme-Ausfälle bestreiten und decken zu können. Zur sofor 
tigen Deckung der Einnahmen-Ausfälle und der zur Behebung der Arbeitslosigkeit 
bewilligten 100 Millionen Lire wurden neue Steuern auf Alkohol, Zigarren, Zigaretten 
und Tabak bewilligt, die 40 bis 70 Millionen eintragen sollen, und die Geschäfts- und 
direkten Steuern um 10 Prozent erhöht, wodurch man weitere 50 Millionen auszu 
bringen hofft. Außerdem wurde eine Emission von 750 000 000 Lire in Banknoten 
vorgenommen, die von den Emissionsbanken übernommen worden sind, dazu 175 Mil 
lionen, die ausschließlich in Staatsscheinen zu 5 und 10 Lire zirkulieren. Demgegenüber 
betrug Anfang Mai 1915 der Goldbestand der Emissionsbanken des Staatsschatzes und 
der Depositenkassen über 2 Milliarden Lire. Dann entschloß sich die Regierung zu einer 
Rüstungsanleihe und legte zunächst 1 Milliarde aus, die in 25 Jahren, vom
	        
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