Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Italien als neutraler Staat von August 1914 bis Ansang Mai 1915 267 
machte sich in Italien große Nervosität bemerkbar. Es wurde die Frage aufgeworfen, 
ob Italien nicht angesichts dieser Möglichkeit mit den Ententemächten in Verhandlungen 
über die ganz neue, die Interessen Italiens im Mittelmeer und in Kleinasien gefähr 
dende Lage eintreten müsse. 
Sorgsam achtete man natürlich in Italien auch auf die Haltung der noch neutralen 
Balkanstaaten. Die italienischen Nationalisten traten dafür ein, Italien müsse 
sich um das Zustandekommen eines Balkanbundes zwischen Rumänien, Bulgarien und 
Griechenland bemühen, um an seiner Spitze beim Eintritt in den Krieg oder bei der späteren 
Friedenskonferenz ausschlaggebenden Einfluß zu gewinnen. Andererseits verfolgten Serbien 
und Griechenland mit wachsendem Mißtrauen die Balkanpolitik Italiens, von der sie 
vermuteten, daß sie sich das angeblich serboslavische Dalmatien bei Verhandlungen mit den 
Ententemächten als künftige Siegesbeute zusichern lassen könnte. Wie Dr. Leo Lederer 
im „Berliner Tageblatt" Ende Mai 1915 zu berichten wußte, „hatten sich offenbar im 
Einverständnis mit dem Ministerpräsidenten Pasitsch zwei Führer der serbischen „In 
tellektuellen", die am heftigsten die Verwirklichung des großserbischen Gedankens fordern, 
der ehemalige Ministerpräsident Ljuba Stojanowitsch und der Professor Belitsch nach 
Petersburg begeben. Und in den energischsten Tönen haben sie von Sasonow und dem 
Direktor für die Angelegenheiten des nahen Orients im russischen Ministerium des 
Aeußern, Gulkiewitsch, verlangt, daß sich Rußland einer „Zusicherung" der dalmatinischen 
Küsten an Italien widersetze. Man weiß nicht, was Herr Sasonow und Herr Gulkie- 
witsch den Abgesandten Großserbiens geantwortet haben. Aber ganz ablehnend konnte 
sich Rußland auch den maßlosesten serbischen Wünschen auf Verwirklichung der groß 
serbischen Ideen gegenüber nicht verhalten. Denn von der Maßlosigkeit dieser Wünsche 
hat es ja auf dem Balkan gelebt. Herr v. Krupenski, der bisherige russische Botschafter 
in Rom, hat denn auch auf seiner Rückreise nach Petersburg einem Vertreter der 
„Makedonia" in Saloniki erklärt, er glaube nicht, daß Italien seine Neutralität aus 
geben werde, denn der Wunsch Italiens nach Beherrschung der adriatischen Gestade und 
der dalmatinischen Inseln werde nicht voll befriedigt werden können. Und von dem 
neuen Botschafter Rußlands in Rom, Herrn Michael v. Giers, der über Nisch nach Italien 
reiste, erfuhr man, daß er die Befürchtungen Serbiens vor den Vereinbarungen des 
Dreiverbandes mit Italien durch den tröstenden Hinweis zu beschwichtigen suchte, daß 
ein Vertrag nur ein Vertrag sei, und die dalmatinische Frage bei den Friedensverhand 
lungen noch immer die von Serbien gewünschte Lösung finden könne, die ja doch auch 
die Lösung Rußlands sei." 
Daß Griechenland in erster Linie eine weitere Ausdehnung seines Gebietes nach 
Norden anstrebt und zwar auf Kosten Albaniens, dem es die an Epirus grenzenden 
Landstriche mit Valona zu nehmen gedenkt, ein Ziel, das wiederholt von Italien als oasas 
belli für seine eigene Politik bezeichnet wurde, war bekannt. Man kann sich also vorstellen, 
mit welchem Enthusiasmus Griechenland einem Bunde unter Italiens Leitung beitreten 
würde. Die rumänischen Anhänger eines Krieges gegen Oesterreich hatten Ende September 
1914 die Abgeordneten Diamandy und Jstrati nach Rom geschickt, um Fühlung mit den 
italienischen Kriegsfreunden und Neutralitätsgegnern zu nehmen. Trotz großer Reden 
scheint aber nichts Positives dabei herausgekommen zu sein. Und der bulgarische 
Delegierte Genadiew, der Ende Januar 1915 in Rom weilte, erklärte mit aller Deutlich 
keit, daß Bulgarien seiner Freundschaft mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn treu 
bleiben werde und nimmermehr Angriffspläne gegen die Türkei hege. Gleichwohl 
gaben die Ententemächte und mit ihnen Italien die Hoffnung aus eine Wiederherstellung 
des Balkanbundes nicht auf; der schwierige Handel soll später bei der Besprechung der 
Politik der neutralen Balkanstaaten zusammenfassend dargestellt werden.
	        
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