Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

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V o m Zaren und den russischen Heerführern 237 
hängt. An die Lehrer und Schüler der Seminarien und Volksschulen erging der Befehl, 
sich in einem bestimmten Gebäude zu versammeln. Sie erschienen, warteten, während 
inzwischen ein dichter Kordon vom Bahnhof bis zum Militärkasino alle Zugänge zu den 
Hauptstraßen absperrte. Der Zar traf schließlich in den späten Abendstunden ein. Er 
kam aber nicht mit der Bahn, sondern fuhr im Automobil auf anderen Straßen in die 
Stadt. Trotzdem also alle getroffenen Anordnungen umgestoßen worden waren, war 
man immer noch voller Angst. Sofort wurde öffentlich ausgesprengt, es sei gar nicht 
der Zar, sondern ein anderer hoher Würdenträger angekommen. Als sich der Zar dann 
aber über die sonderbare Leere der Stadt verwunderte, ist freilich alles von der Zivil 
bevölkerung, was harmlos erschien, sehr eindeutig und eilfertig eingeladen worden, auf 
die Straße hinauszukommen nnd fleißig Hoch zu schreien. Wer nicht folgte, wurde mit 
Nagaikahieben zu dieser „spontanen" Freudenkundgebung gezwungen." 
Aus Anlaß des Zarenbesuches sind, wie in der „Neuen Freien Presse" berichtet 
wurde, auch bei solchen Personen der Zivilbevölkerung, die für ihre Häuser Verwalter 
bestellt hatten, die Wohnungen durchsucht und aus diesen die besseren Möbelstücke ent 
fernt worden, angeblich um die vom Zaren und seiner Umgebung zu benützenden Räume 
komfortabel einrichten zu können. So wurden auch aus dem Hause des Abgeordneten 
Di-, Ritter v. Czaykowski verschiedene Möbelstücke genommen, die er dann allerdings 
auf energische Reklamation seines Hausverwalters wieder zurückerhielt, wobei erklärt 
wurde, daß ein Bett nunmehr historische Bedeutung besitze, weil der Zar darin geschlafen 
habe. Dr. Blazowski wurde nach Sibirien verschickt, weil er sich weigerte, als Stadt 
oberhaupt den Zaren bei seinem Einzug namens der Ortsbevölkerung zu begrüßen. 
17. bis Ende Mai 1915. 
Der Zar, der sich am 17. Mai von Zarskoje-Selo nach der Front begeben hatte, 
soll nach Meldungen der „Südslawischen Korrespondenz" in gedrückter Stimmung nach 
Zarskoje-Selo zurückgekehrt sein. Die schweren Mißerfolge der russischen Hauptstreit- 
kräste in Galizien hatten den Zaren um so tiefer erschüttern müssen, als er vom Groß 
fürsten Nikolaj zum Besuche der Front mit dem Bemerken eingeladen worden war, der 
Kaiser möge Zeuge der großen Offensive werden, die den Sieg der russischen Armee 
über die Truppen der Verbündeten vervollständigen werde.. 
Aus dem russischen Hauptquartier 
Von einem amerikanischen Arzt, der den Krieg beim russischen „Roten Kreuz" 
mitmachte, wurde der „Täglichen Rundschau" Mitte April 1915 geschrieben: „Das rus 
sische Hauptquartier (vgl. IV, S. 165) liegt augenblicklich nur wenige Kilometer 
hinter der Front; zu ihm gehören etwa 500 Offiziere, Generale und Generalstabsoffiziere, 
Adjutanten, Ordonnanzoffiziere. Die Hauptmitarbeiter des russischen Generalissimus, 
Großfürst Nikolaj Nikolajewitsch, sind Generalstabschef Januschkewitsch und der 
Quartiermeister General Danilow. Die administrative Abteilung wird von General 
Kondserowskij geleitet. Für Militärtransporte sorgt Generalmajor Ponschin. 
Ferner sind im Hauptquartier eine Anzahl von Popen. Den Feldgottesdienst im Haupt 
quartier versieht der Metropolit von Moskau, dem der Zar ein herrliches Kapellenauto 
geschenkt hat. Das Leben im Hauptquartier pulsiert ununterbrochen; Automobile rattern, 
Kavallerieosfiziere jagen heran, sprengen davon, Radfahrer, Motorfahrer bringen Mel 
dungen. In der Telephonzentrale arbeiten fast 300 Apparate fieberhaft. Der Genera 
lissimus bewohnt ein aus drei Zimmern bestehendes Asbesthaus, das sich in denkbar 
kurzer Zeit auseinandernehmen und wieder zusammensetzen läßt. Nur ungern bezieht er 
ein anderes Quartier. Stets in der Furcht, von Mörderhand zu fallen, meidet er es, 
sich von unbekannten Personen bedienen zu lassen.
	        
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