Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

208 Die russischen Kriegsschauplätze bis zur Wiedereroberung von Przemysl 
„Na, verabschiede dich von deinem Pferd," sagt der Unteroffizier, und der Kosak rennt 
zwischen den Wagen wie ein gehetztes Wild hin und her, bis er bei einem Halt macht. 
Ein ganz kleiner Rappe und ein um eine Faust höherer Schimmel sind davorgespannt. 
Der Kosak wirft sich dem Schimmel an den dürren, langen Hals und küßt ihn leiden 
schaftlich und anhaltend, wie um seinen Durst zu stillen. Dann umfaßt der große schwere 
Mann das schmächtige Tier mit seinem rechten Arm und streichelt mit der Linken seinen 
abgehärmten, zitternden Leib. Er nimmt aus seiner Tasche einen Laib Brot, beißt ein 
Stück ab, und hält das übrige dem müden Schimmel hin. Liebevoll sieht er ihm zu, 
wie er es frißt, er küßt wieder seinen runzeligen Hals, streichelt und tätschelt ihn. Jetzt 
ist er glücklich, verbeugt sich wie ein schlechter Komödiant tief und mit ausgebreiteten 
Armen, neigt sich bis zur Erde und dankt so jedem, daß er sich von seinem Pferd ver 
abschieden konnte. 
So erzählt der Kriegsberichterstatter Emil Szomory im „Berliner Tageblatt". 
Feierstunden im Felde 
„Eine Nacht ist mir in besonders leuchtender Erinnerung," schreibt Helmuth Unger in 
der „Kölnischen Zeitung" in seiner Artikelserie „Mit der deutschen Südarmee in Galizien". 
Ringsum, das ganze Tal hinein und die Hügelhänge hinauf flammten und blinkten die 
kleinen Wachtfeuer. Als wäre der Sternenhimmel wie ein lichtgesticktes Tuch hernieder 
geglitten und hätte sich über die Erde gebreitet, so dünkte es mich. 
Eine wundervolle Nacht war diese Mainacht. Einer von unserm kleinen Kreise hatte 
neue Bilder bekommen, auf denen seine Kinder photographiert waren. Es waren zwei 
kleine pausbäckige Mädel, denen die Lebensfreude aus klugen Augen sprach. Die Bilder 
gingen von Hand zu Hand. Jeder hielt sie einige Augenblicke, sann darüber her, gab 
sie weiter. Die Hand tastete nach der Tasche. Da staken auch Bilder von den Lieben 
daheim, die man als kostbarsten Schatz mit ins Feld genommen. Das Bildnis der Frau 
oder der Braut, der Geschwister, der Mutter, seiner Buben. Wie oft hatte man sie 
schon heimlich hervorgeholt, sie betrachtet und gestreichelt und dabei drüber nachgesonnen, 
wie es denen zu Hause wohl ergehen mochte. Jetzt hatte einer eins seiner kleinen Heilig 
tümer hervorgeholt, die Kameraden teilnehmen lassen an seiner Freude. Jetzt erzählte 
er auch. Seine Frau schrieb ihm allerlei lustige Einfälle seiner Kinder, die las er vor 
und wir belachten sie. Da hatte jeder auf einmal irgendeine kleine Geschichte, die ihm 
am Herzen lag. Das Plaudern ging reihum. Zwei Worte aber waren es vor allem, 
die in jedem Gespräche, in jeder Erzählung wiederkehrten. 
Das eine war „Heimat". Wie leise da ein jeder erzählen konnte, als gäbe er ein 
köstliches Geheimnis preis. Wie viel Wünsche, Pläne und Träume knüpften sich daran. 
Der eine wollte sich dort ein Häuschen erbauen, sein Weib und seine Kinder sollten es 
darin einmal gut haben. Der zweite wollte sich dort, wo sein Vaterhaus gestanden, sein 
eigenes Glück zimmern. Da war ein Mädchen, das ihm lange schon ihre ganze und 
große Liebe geschenkt hatte, das nun sein Weib werden sollte. Sie hatten beide lange 
genug darauf gewartet. Dann war der Krieg gekommen, der ihr Glück noch einmal in 
die Ferne rückte. Ja aber jetzt, wenn Friede würde, wenn er wiederkehrte! Auf diesem 
Worte, „wenn erst einmal Frieden wird, wenn wir heimkehren!" baute sich jedes kommende 
Glück aus. 
Und das zweite Wort hieß „Mutter". Ich kann nicht sagen, wer von uns in jener 
stillen, schönen Nacht es zuerst im Munde hatte. Einer, der von der Heimat sprach, 
mußte es wohl genannt haben, denn diese beiden Worte gehören ja unzertrennlich zu 
einander. Und die Tiefe ihrer Bedeutung mag jeder empfunden haben, der in der Ferne 
diesen Krieg erlebte. Das hat uns dieser Krieg vor allen Dingen gelehrt: dankbar sein
	        
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