Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Zwischen der oberen Weichsel u. der Reichsgrenze bis zur Wiedereroberung von Przemysl ISS 
des Raubzugs und als Verteiler der Beute fungierten. Spiegel, Statuetten, Bilder 
wurden zerschlagen, die Bibliothek verwüstet, die Möbelstücke, sogar jene im Zimmer 
des hilflosen Greises, zertrümmert. Ihn ließ man zehn Tage liegen, ohne sich um ihn 
zu kümmern; er nährte sich von etwas Milch und rohem Kraut, das ihm ein als närrisch 
bekanntes Abwaschweib der Familie abends zusteckte, während das Raubgesindel mit 
Einpacken beschäftigt war. Schließlich wollten die Kosaken ihre Heldentaten durch An 
zünden des Hauses verwischen, ohne den alten Mann herauszuschaffen. Nachbarn baten 
um sein Leben. Mangel an Petroleum und die eilige Flucht, als die Unseren kamen, 
verhinderten das Unglück. Auch die Beschießung des Hauses durch die Angreifer mit 
Granaten, Schrapnells und Gewehrgeschossen scheint dabei mitgewirkt zu haben. Wie 
durch ein Wunder blieb mein Schwiegervater unverwundet. Zu schildern, in welchem 
Zustande ich ihn antraf, als ich. Böses ahnend, mit dem Auto nach langer Fahrt im 
Hause anlangte, vermag ich nicht. Ich sah ein Gespenst von Haut und Knochen mit 
tiefliegenden Augen, sprachlos, von Weinkrämpfen geschüttelt.* 
Auch der griechisch katholische Bischof von Przemysl, Landmarschallstellvertreter Kon 
stantin Czechowicz, wurde seines Bistums für verlustig erklärt und gezwungen, das 
bischöfliche Palais zu räumen. Das brutale Vorgehen der russischen Behörden hat den 
72 jährigen Kirchensürsten derart erregt, daß er einen Schlaganfall erlitt, dem er am 
28. April 1915 erlegen ist. 
In die Zeit nach den Ostertagen fällt eine Razzia, die in der Vorstadt Skasanie 
(jenseits des San) unternommen wurde. Dort suchten Offiziere mit Soldaten alle 
Wohnungen ab. Jeder Mann zwischen achtzehn und fünfzig Jahren wurde festgenommen. 
Eine Nacht lang wurden sie in dunkeln Räumen zusammengepfercht. Am nächsten Tag 
erfolgte die Eröffnung, es seien österreichische Soldaten in Zivil unter ihnen, die aus 
findig gemacht werden müßten. Obwohl die Untersuchung ergebnislos blieb, wurden 
dennoch gegen 1500 Leute in wehrfähigem Alter nach Rußland weggeführt. Das gleiche 
geschah mit den öffentlichen Geldern. Die Magistratskaffe mit Wertpapieren für 
700000 Kronen und 117000 Kronen Bargeld nahm der russische Bürgermeister Gluskie- 
witsch an sich, ebenso von der Bezirkshauptmannschaft 196000 Kronen Depositengelder. 
Während der russischen Invasion hatte man in Przemysl nicht die geringste Ahnung 
von den großen Erfolgen der Offensive der verbündeten Truppen, weder von dem sieg 
reichen Durchbruche bei Gorlice, noch von der Wiedereroberung Tarnows. Es trafen 
zwar fortwährend Verwundetentransporte in der Festung ein, die allmählich nach Lem 
berg weiter befördert wurden, allein man vermutete, daß die Russen in den Karpathen 
Schlappen erlitten hätten. Aus den knapp gehaltenen Berichten der Petersburger Tele 
graphenagentur in den Lemberger Blättern konnte man nichts Genaueres erfahren. 
„Erst am 12. Mai 1915 fiel es auf," erzählt ein Przemysler Bürger in der „Nowo 
Reform«", „daß die Russen von einer gewissen Unruhe ergriffen wurden. Zahllose, 
auch mit Geschützen beladene Wagen des russischen Trains begannen die Stadt zu ver 
lassen. Drei Tage und drei Nächte dauerte der Durchzug dieses Fahrparkes. Auch die 
Spitäler wurden geräumt und die österreichisch-ungarischen Verwundeten, die zur ärzt 
lichen Pflege in Przemysl verblieben waren, mit 40 österreichischen Aerzten nach Lem 
berg fortgeschafft. Gleichzeitig erfolgte der Transport der von den Russen in den Privat 
wohnungen der Przemysler Einwohner geplünderten Wohnungseinrichtungen, Klaviere 
und Teppiche. 
Ueber Przemysl erschienen zu dieser Zeit wiederholt österreichisch-ungarische und 
deutsche Flieger, die Bomben abwarfen. Am 25. Mai um 5 Uhr nachmittags beschä 
digte eine dieser Bomben das Hotel City und tötete eine Person. Am 28. Mai singen 
die Russen an, viele Tausende Sack Mehl auf der Bahnrampe szu verladen, worauf
	        
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