Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Zwischen der oberen Weichsel u. der Reichsgrenze bis zur Wiedereroberung von Przemysl 197 
Am 3. Juni 1915 gegen 3^ Uhr mittags zogen von Norden her deutsche Truppen 
in die festlich geschmückte Stadt, Bayern der Gruppe Kneußl und das Augustaregiment 
der preußischen Garde. Kurz darauf folgten aus südlicher Richtung Abteilungen des 
Przemysler Korps, die sich in dem schweren Ringen der vergangenen Tage heran 
gearbeitet hatten. Die Bayern blieben in der Festung zurück. Seit dem 20. April 1915 
hatten sie zum erstenmal einen Tag Ruhe, und zum erstenmal seit 50 Tagen kamen sie 
wieder einmal aus der Uniform heraus. Der Abzug der russischen Besatzungstruppen 
war nur aus den östlichen Bahn- und Straßenwegen nach Grodek möglich, die aber beide 
seit Tagen unter dem vernichtenden Feuer der allseitig anrückenden und nähergebrachten 
Artillerie der verbündeten Truppen standen. 
Der Jubel der Bevölkerung Przemysls, die während der Russenherrschaft an 20000 
Menschen betrug, war grenzenlos. Männer und Frauen weinten vor Glück. Viele 
Soldaten konnten beim Einzuge die Ihrigen wiedersehen. Als von beiden Seiten in der 
eroberten Stadt Bayern und Oesterreicher zusammentrafen, sah man Offiziere und 
Mannschaften sich umarmen. Glockengeläute feierte den Siegestag. Ein Dankgottes 
dienst in allen Kirchen und Synagogen wurde abgehalten. Der nach der gewalttätigen 
Verschickung des ersten Bürgermeisters nach Sibirien in Przemysl verbliebene Vize- 
bürgermeister begrüßte die ersten Patrouillen der Verbündeten in Worten, die das heiße 
Dankgesühl der Bevölkerung ausdrückten. 
Aus Anlaß der Einnahme Przemysls sandten der Deutsche Kaiser und Kaiser Franz 
Josef Glückwunschtelegramme an König Ludwig III. von Bayern, in denen die 
Leistungen der bayerischen Truppen bei der Einnahme besonders hervorgehoben wurden. 
Auch ukrainische Abgeordnete haben anläßlich der Wiedereroberung von Przemysl 
dem Kaiser Franz Josef wie auch dem Armeeoberkommandanten Erzherzog Friedrich 
und dem Erzherzog Karl Franz Josef auf telegraphischem Wege die Huldigung und die 
Glückwünsche der Ukrainer Galiziens und der Bukowina dargebracht. 
Przemysl unter russischer Herrschaft 
Nach der Kapitulation der Festung am 22. März 1915 benahmen sich die Russen 
anfänglich freundlich und entgegenkommend. Sie kamen als Sieger, der Einmarsch erfolgte 
in tadelloser Ordnung, alles blieb ruhig. Sie brachten große Proviantmengen in die 
ausgehungerte Stadt und richteten sieben Volksküchen ein; bis zuletzt gab es weißes 
Brot. Den Offizieren von der Besatzungsarmee ist der Säbel belassen worden, die 
Gefangenen wurden gut behandelt; die Mannschaften vertrugen sich. „Du hast nicht 
schlecht gegen mich sein wollen," sagte ein Russe, „ich will nicht schlecht gegen dich sein! 
Du hast mir nichts tun wollen, ich hab' dir nichts tun wollen! Das ist der Krieg!" 
Der erste russische Festungskommandant, General Artamanow, wird bald als ein Mann 
von Gewissen und Menschlichkeit, bald als ein russischer Geßler, der offenbar nicht zu 
rechnungsfähig war, geschildert. Er ließ, wie der „Kölnischen Zeitung" geschrieben 
wurde, durch den Bezirkschef, General Kiriakow, ein als Merkwürdigkeit später viel 
begehrtes Plakat in russischer, polnischer und deutscher Sprache anschlagen, nach dem jeder 
mann in Przemysl vor ihm Front zu machen und das Haupt zu entblößen hatte. Er ver 
schwand bald von seinem Posten. Offizierklatsch sagte ihm eine Tracht Prügel nach, die 
ihm der Großfürst verabfolgt hätte. Zwei Tage nach seiner Abberufung erscheint, wie 
I. v. Michaelsburg, eine Dame, die als Schwester des Roten Kreuzes vom 7. Sep 
tember 1914 ab in Przemysl tätig war, in ihrem in C. F. Amelangs Verlag, Leipzig, 
erschienenen Tagebuch schreibt, „ein Befehl, daß die gefangenen Offiziere strafweise den 
Säbel abzulegen hätten. Und bald fingen die russischen Drangsalierungen an, mit 
nächtlichen Untersuchungen und Verhaftungen und strengen Verfügungen auch gegen das
	        
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