Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

180 Die russischen Kriegsschauplätze bis zur Wiedereroberung von Przemysl 
Hiezu hatte sich die Armee, wie gefangene Offiziere aussagen, auf dem westlichen Fluß 
ufer aufzustellen und bis zum Aeußersten zu halten. Ausdrücklich soll in dem Armee 
befehle auf ein angriffsweises Vorgehen gegen den Feind hingewiesen worden sein. 
Theoretisch war eine solche Verteidigungsweise wohl möglich, nachdem die Russen während 
der vergangenen Monate im Weichsel-San-Bogen bei Sieniawa, dann bei Jaroslau 
und Radymno große, stark ausgebaute Brückenköpfe auf dem westlichen Flußufer angelegt 
hatten. Die Ausführung des Befehls sollte sich aber praktisch als unmöglich erweisen. Die 
Truppe war durch die erlittene Niederlage und den Rückzug so schwer erschüttert und 
durcheinander geraten, daß nur eine passive Verteidigung der Sanlinie möglich wurde. 
Fanden doch unsere gegen den San vorrückenden Truppen unter den Gefangenen immer 
wieder Versprengte aus allen möglichen Verbänden der russischen Front. Berichteten 
diese Gefangenen doch übereinstimmend, daß die russischen Führer bestrebt seien, die 
durcheinander gekommenen Verbände neu zu formieren ohne Rücksicht auf ihre Rangierung 
nach der früheren Regimentszugehörigkeit. 
Von den verschiedensten Kriegsschauplätzen wurden die entbehrlich scheinenden Teile 
herangezogen und mit der Bahn an den unteren San gebracht, so daß sich an dieser 
Flußlinie den Verfolgern nicht weniger als 23 verschiedene Infanteriedivisionen entgegen 
stellen sollten. Radko Dimitriew mußte aber wohl inzwischen das Vertrauen in die Wider 
standskraft eines großen Teiles seiner bei Gorlice—Tarnow beteiligt gewesenen Truppen 
verloren und die am schwersten erschütterten Verbände weit hinter den San zurück 
genommen haben. Denn unsere Flieger meldeten am 12. und 13. Mai 1915 den Rück 
marsch langer russischer Kolonnen vom unteren San nach Osten und Nordosten. 
Es blieb demnach im wesentlichen die Aufgabe der Neuangekommenen Verstärkungen, 
den San zu halten, besonders den Brückenkopf von Jaroslau, auf dessen Behauptung 
der russische Armeeführer viel Wert zu legen schien. 
Am 14. Mai begannen die Verbündeten, die Przemysl von Süden her abgeschlossen 
hatten und längs der ganzen Sanlinie bis nahe an den Fluß und dessen Brückenköpfe 
herangerückt waren, mit dem Angriff auf Jaroslau. Der Feind hatte die Höhen west 
lich der Stadt zu einer Art Festung ausgebaut. Von langer Hand vorbereitet, zogen 
hier Schützengräben in weitem nach Westen gerichteten Bogen vom Flusse durch die 
westlichen Vorstädte nach dem Meierhof und Schlosse des Grafen Sienienski und durch 
den Park zur Jupajowkahöhe, die mit Schloß und Meierhof den Schlüsselpunkt der 
Stellung bildete. Den Regimentern der preußischen Garde und des sechsten österreichisch 
ungarischen Armeekorps war es vorbehalten, sich in den Besitz von Stadt und Brücken 
kopf Jaroslau zu setzen. Die russischen Verteidiger bestanden aus der 62. Division, zu 
deren Unterstützung Teile der 41. und der 45. Division beschleunigt herangeführt wurden, 
welche die dortigen Befestigungsanlagen besetzten und durch Neuanlage von Drahthinder 
nissen in aller Eile noch weiter zu verstärken suchten. 
In zweitägigem Kampfe entriß die Garde dem Feinde Jaroslau und warf ihn hinter 
den Fluß zurück. Die Regimenter Elisabeth und Alexander erstürmten, untermischt mit 
österreichisch-ungarischen Truppen, im Nachtangriff den Meierhof und das Schloß samt 
dem Park, dessen uralte Bäume von Granaten gleich Streichhölzern geknickt wurden, 
während die umfangreichen Schloßbauten in Schutt und Asche gelegt wurden. Das 
österreichisch-ungarische Linienregiment Nr. 66 und Honved entrissen dem Feinde den 
Gipfel der Jupajowkahöhe. Bei diesen Kämpfen fielen etwa 4000 unverwundete Russen 
in Gefangenschaft. Einzelne Regimenter, wie zum Beispiel 247, wurden so gut wie 
aufgerieben und bestehen nicht mehr. 
Am Abend waren Jaroslau und der ganze Brückenkopf in der Hand der Verbün 
deten. Die geräumige Stadt mit den alten polnischen Renaissancebauten nnd der präch-
	        
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