Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

166 Die russischen Kriegsschauplätze bis zur Wiedereroberung von Przemysl 
nur Polnisch an diesem Morgen. Aber die Mimik ersetzte den Dolmetsch, so daß in 
Kürze die angelegentlichsten Debatten über die Kriegslage sich entspannen und wir unter 
kräftigem Zweibundhandschlag aus der Halle rollten. 
Noch eine Reihe kleiner Dorshaltestellen mit polnisch klingenden Namen, und an einer, 
die Bochnia hieß, wurden wir ausgeladen. Ein wohltuend herzlicher Empfang ist uns 
Deutschen zuteil geworden. Den werden wir nicht vergessen, so lange die Erinnerung an 
diesen Krieg in uns, in denen, die nach uns kommen, fortleben mag. Die Bevölkerung 
stand an den Straßen und bot uns den Willkomm. Die Juden — aus denen die Ein 
wohnerschaft sich in der Hauptsache rekrutiert — lüfteten ehrfurchtsvoll die Pelzkapuze 
über den geschniegelten schwarzen Locken, und aus der Korona der seltsam buntgekleideten 
Dorfschönen flog uns manch Kußhändchen zu. Keiner am Wege, dem nicht unser Ein 
marsch etwas wie eine persönliche Sache gewesen wäre. „Szola" stand da irgendwo 
über einer breiten Pforte. Als die Karawane der grauen Feldkanonen und Munitions 
wagen vorbeizog, sprangen die Fenster aus, Kopf an Kopf reckte es sich über die Brüstung, 
und ein paar hundert kleine Hände spendeten Applaus. 
Bergan wand sich die Kolonne, der Spur weitausholender Wege folgend. Einsam 
wurde die Gegend, immer spärlicher waren die Häuser in der Landschaft gesät —, Häuser 
... vier Wände aus Kieserstämmen, gefällt wie sie am Hange standen, und ein Dach aus 
Stroh, das wie Zunder flammen muß, wo der Funke sprüht. Da und dort aber krönt 
ein burgähnlicher Steinbau eine entwaldete Kuppe, polnischer Grasen Stammsitz, auf der 
Höhe thronend, abgeschlossen und einsam, wie die Menschen sein müssen, die darin wohnen. 
Steiler werden die Pfade. „Kanoniere abgesessen!" — die Pferde keuchen. Der weiche 
Staub, den die Hufe aufwühlen, glüht in der Sonne. An einen Meilenstein gelehnt 
hockt ein Bettler im Kot. Ein Greis; junge Bettler gibt es nicht mehr. Die hat der 
Krieg in ein graues Wams gesteckt, der auch denen, die in der Feldschlacht nichts taugen, 
das tägliche Brot der Arbeit, Kriegsarbeit, gibt. Tausende hat er auf den Kutschbock 
jener Leiterkarren gesetzt, die heute alle Marschstraßen beleben, die der Heerestroß zieht. 
Vor uns, hinter uns und talwärts desselben Weges schreiten die kleinen, sehnig-robusten 
Pferde vor den hochbepackten Gefährten. Auch wir haben sogleich eine Armee der ein 
heimischen Wagenlenker, die den Bürgerrock nicht ausziehen und gegen Mietzins geworben 
werden, in unseren Dienst gestellt. 
Höhenwind wehte in den Kiefern. In der Tiefe hinter uns verblaßte die Talspur, 
die wir gezogen waren, und einen Bergrücken nach dem andern erklommen wir. Und 
da plötzlich ward uns ein Anblick, der unsere den Regenwinter der westlichen Ebenen 
gewohnte Augen wie trunken machte — über dem Saum der Höhen tauchte in der Ferne 
die gezackte, schneeschimmernde Gipfelkette der Karpathen aus. Unsere Marschrichtung 
zielte nicht auf das Gebirgsmassiv, wir sollten den waldigen Ausläufern des nördlichen 
Abhangs folgen — die Russen zur Linken, die Russen zur Rechten . .. was munkelten sie? 
Drei Tage Marsch, eh wir vorm Feind standen. Unter einer Sonne, wie sie im Juli 
gleißt, daß den Infanteristen der Tornister wie Blei aus dem Rücken hing. Unsere 
jüdischen Wirte in den Dorfquartieren, die wir bezogen, ließen sich keine Mühe verdrießen, 
uns das Obdach bequem zu machen. Wir haben uns getraut, in die galizischen Betten 
zu steigen, und blieben von ungebetenen Schlafgenossen nächtlicherweile durchaus unbe 
helligt. Die Landstraße aber hatte uns, solange der Tag hellte. Immer dichter rollte 
das Kriegsgefährt, auf Feldwegen oft, die im Verlauf weniger Stunden emsige Spaten 
zu breiten Zufahrtstraßen ausbuddelten. Imposante Lagerschuppen voll gestapelter 
Konservenbüchsen, Brotlaibe und Hafersäcke besorgten inmitten des treibenden Stromes 
die Ernährung von Mensch und Tier. Unsere Augen sahen das, und doch begriffen wir 
kaum dieses Wunder der auch das Kleinste umfassenden, das scheinbar Nebensächlichste
	        
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