Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

130 Die russischen Kriegsschauplätze bis zur Wiedereroberung von Przemysl 
gestatteten den mühselig heranrückenden Ersatzmannschaften nicht mehr als 2 Kilometer 
in der Stunde zurückzulegen. Durch einfallende Gefchoffe und durch die Wirkung der 
Schneeschmelze entstanden in den Fahrdämmen große, tiefe Löcher, die den Autoverkehr 
behinderten, wenn nicht ausschlossen und nächtliches Fahren und Reiten in jener 
Gegend mit Lebensgefahr bedrohten. Der Pferdeverbrauch stieg ins Unermeßliche. Man 
hatte nicht Arbeitskräfte genug, die gefallenen Tiere rasch einzuscharren. Gute Dienste 
taten die landesüblichen Ochsengespanne, aber wie langsam rückten sie aus der Stelle! 
Teilweise behalf man sich ausschließlich mit Trägerkolonnen, stellte Hunderte von Ge 
fangenen ein und ließ sie abseits der ungangbaren Straßen sich ihren eigenen Weg 
bahnen bis zu den vorderen Stellungen. Einige Male stockte überhaupt jeder Verkehr, 
und ohne den Fernsprecher wäre man von der Welt ganz und gar abgeschnitten gewesen. 
Mangelhafte Zufuhr, Kälte und Nässe beeinträchtigten den Gesundheitszustand der durch 
fortwährende Kämpfe ohnehin sehr geschwächten Truppen immer mehr. Sollte der 
wichtige Zweck dennoch erreicht werden, so mußte ein sorgfältig erwogener Angriffsplan 
den, wenn auch erschöpften, so doch dauernd angriffsfreudigen Streitkräften zu Hilfe kommen. 
Dementsprechend wurde beschlossen, die Infanterie aus den von ihr errungenen Linien 
wieder zurückzunehmen, die letzten feindlichen Werke durch lange andauerndes schweres 
Artilleriefeuer angriffsreif zu machen und sich dann in Sappen bis an die Sturmstellung 
hinanzuarbeiten. Nur diese Geduldsprobe konnte zum Ziele führen, aber sie brachte 
auch neue Sorgen mit sich. Für die Schwierigkeit, die erforderliche Anzahl schwerer 
Geschütze in Stellung zu bringen, gilt alles, was über den Zustand der Straßen und 
des Geländes und über die allgemeine Verkchrshemmung gesagt worden ist. Außerdem 
war die Artilleriebeobachtung wegen völliger Unsichtigkeit oft halbe Wochen lang un 
möglich, Wochen, die dann ungenützt verstrichen. Inzwischen hatten die Russen Przemysl 
genommen und zogen von den dort frei gewordenen Kräften beträchtliche Teile auch in 
ihre Zwininstellungen. 
Endlich traf es sich am 9. April, daß beide Parteien gleichzeitig einen Angriff ge 
plant hatten. In der ersten Morgenfrühe wollte der Russe die ihm am Zwinin II 
gegenüberliegenden Deutschen den Berg hinunterwerfen. Er stieß mit großer Gewalt 
vor »und drohte, vom Ostabhang her unterstützt, seinen Willen in lebhaftem Kampf 
durchzusetzen. Da stürmten die Belagerer des Zwinin I kurz nach 8 Uhr morgens aus 
ihren Stellungen den Gipfel hinauf. Diesmal überraschten sie den Gegner vollkommen. 
Es kam zu einem über die Maßen erbitterten Nahkampf aus einem Schlachtfelde, wie 
die Geschichte es niemals gesehen hat: eng, nach allen Seiten abschüssig, in monate 
langen Kämpfen kahlgestampft und -geschossen, durch Sprengminen, Geschoßtrichter und 
ein Gewirr von Gräben aufgewühlt und zerklüftet, mit kümmerlichen Resten einer Be 
waldung, deren zersplitterte Baumstümpfe gleich den Grabmälern eines voll belegten 
Friedhofes aus dem Boden ragten. Ueberall waren unter dem wegschmelzenden Schnee 
die Toten der beiden verflossenen Monate wieder ans Licht gekommen, schwarze, schau 
rige Gruppen der Verwesung. Von unzähligen Handgranaten empfangen, klommen die 
Deutschen trotz alledem Schritt für Schritt vorwärts, bis der Kampf entschieden war 
und der Sieg sich auf ihre Seite neigte. 
Diese Wendung am Ostabhang wirkte alsbald anfeuernd hinüber auf die Kämpfe 
am Zwinin II. Auch dort gewannen die Unseren die Oberhand, warfen ihre Angreifer 
in nördlicher Richtung zurück und den Abhang hinunter und setzten sich eiligst mit den 
Eroberern des Zwinin I in Verbindung. Als sich die ersten Vorläufer der beiden so 
lange getrennten und nun wieder vereinten Korpsteile die Hand reichten, überwältigte 
sie der Ernst dieses bitter schweren Sieges; man sah die stämmigen Leute einander 
schluchzend umarmen und erlebte das Unvergeßliche, wie sie, unter Verwundeten und
	        
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