Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Zwischen der oberen Weichselu. der Reichsgrenze bis zur Mai-Offensive der Verbündeten 101 
Rand liegt in Rauchschwaden, die, immer dichter werdend, pfeilschnell dahinjagen. Der 
Schnee, von einem Orkan gepeitscht, wirbelt einmal schnurstracks die Hänge hinunter, dann 
wieder windet er sich zu einer imposanten Hose empor. Sie zerstiebt, und neue weiße 
Schleier fegen über uns hinweg. Dazu das furchtbarste Konzert. Einmal brüllend und 
tobend, dann wieder pfeifend und klagend, rasen die entfesselten Elemente über den 
Kamm. Jeder Mann bückt sich, schiebt den Kopf zwischen die Schultern, windet und 
dreht sich, um dem Anprall des Orkans nicht das Antlitz darzubieten. Verlorene Liebesmüh. 
Dieser Feind kommt von Nord und Süd, von West und Ost. Die Stimme dringt 
kaum zum Nächststehenden. Allein das Beispiel kann leiten. Das Schi-Detachement 
schnallt die „Brettln" an, und nach kurzem Ueberlegen saust es, einen Südstoß abwartend, 
in das Tal am Nordfuß des Karpathenrückens. Der Schnee zischt auf und zeichnet in 
mitten des Hexentanzes weißer Flocken neue, rasch zerstiebende Konturen. Wir anderen 
wollen der Spur der Brettlbewehrten folgen. Sie existiert nicht mehr. Neue Stürme 
haben sie verweht. Also vorwärts, ohne Spur, ohne Pfad! Die ersten stürzen, die 
nächsten sausen, alle winden sich in Atemnot. Und doch — es muß sein! Oben das 
Verderben, unten das Heil für uns und das Regiment, das unser harrt. Drum vor 
wärts, immer vorwärts! Einer bricht in verschneiter Mulde ein, ein anderer fährt mit 
niedergehenden Schneemassen ab, ein dritter bricht mit verstauchtem Knöchel zusammen. 
Ich leite die Blessiertenträger zu ihm (meine Stimme durchdringt nicht das Brüllen des 
Sturmes) — da hält einen Augenblick die Natur in ihrem Rasen inne und ich höre: 
„Söll sollen uns die Russen nachmachen!" Die letzten Silben verwehen bereits im er 
neuten Aufschrei der gepeinigten Berge. 
Endlich landen wir bei einer Sägemühle nahe der Wetlina. Das Bataillon ist kaum 
zu erkennen. Es trägt natürliche Schneemasken, von den Bärten fließen Eiszapfen 
nieder. Doch nur wenige fehlen. Sie werden kommen. Offiziere und Blessiertenträger 
sind noch um sie bemüht in dieser Sturmesnot. Am folgenden Tage vereinigen wir uns 
mit dem Regiment, wenig später fechten die Wackeren, Unbezwingbaren bereits ihren 
ersten Strauß mit den Russen." 
Von solchen Kämpfen, einem Sturmangriff auf die Höhen, die das Laborczatal 
beherrschen, erzählt Dr. Lewandowski in seinem Kriegstagebuch. Sein Regiment war 
am 6. März 1915 morgens 1 Uhr alarmiert worden und dann zunächst aus den Zebrak- 
sattel marschiert, von wo es zwei Höhen stürmen sollte zur Unterstützung und Sicherung 
des Angriffs der Nachbardivision von der Flanke her. „Um 6 Uhr morgens sind wir 
am Zebraksattel," schreibt Dr. Lewandowski nach dem „Neuen Wiener Tagblatt". „Wir 
marschieren weiter zu einer Vertiefung, von wo der Angriff eingeleitet werden soll. Alle 
Stellungen sind hier Feldbefestigungen mit Drahthindernissen und äußerst schwer an 
zugreifen, weil die Linien ganz nahe beieinander liegen. Vor uns liegt das 20. Honved- 
infanterieregiment, daneben die 31er Honveds. Wir verbleiben hier bis nachmittags, da 
kommt der Befehl, auf den Zebraksattel zurückzumarschieren, wo wir übernachten. 
Am 7. März morgens halb 6 Abmarsch. Das ganze Gelände voll Artillerie. Es 
hat den Anschein, daß es hier besonders heiß zugehen wird. Am selben Platz wie gestern 
angelangt, trifft unser Regimentskommandant seine Dispositionen so sachlich und genau, 
daß man von einem starken Sicherheitsgesühl beseelt wird. Mittags kommen einige 
Schrapnells, gleich daraus Granaten. Man ist aber daran so gewöhnt, daß bloß der 
Sprengpunkt beobachtet wird und ein Angstgefühl gar nicht aufkommt. Durch Ueber- 
läuser erfahren wir, daß uns auf russischer Seite das 138. Infanterieregiment gegenüber 
liegt, das dort seit vier Tagen in Stellung ist und aus Tomsk eintraf. 
Um 5 Uhr abends ist der Angriffsbefehl da. Durchführungsbeginn um 6 Uhr. Pro 
grammäßig greift das 1. Bataillon unseres Regiments mit der Honved an. Unsere
	        
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