Volltext: Der Völkerkrieg Band 4 (4 / 1916)

Zwischen der Ostsee und der oberen Weichsel Hl 
struierte. Dann der ältere Reserveoffizier, der sich als treue Stütze so oft bewährt 
hatte. Schließlich als dritter Zugführer der Offizierstellvertreter, ettt junger Lehrer, 
verlobt, der sein pädagogisches Talent auch im Felde erfolgreich anwandte und von 
großem Einfluß aus seine Leute war. »Meine Herren, hier ist der Befehl zum Sturm!" 
Ich las den Befehl vor. „Wir wollen die Uhren stellen, es ist jetzt genau 6 Uhr abends. 
Punkt 6 Uhr morgens steht morgen die Kompagnie sprungbereit, Bajonette aufgepflanzt! 
Schlag 6,30 stürzen wir vor! Geschossen wird nicht! Sobald die Russen feuern, schreien 
wir Hurra und die Spielleute schlagen! Tie 1. Kompagnie stürmt rechts von uns, An 
schluß 3. Kompagnie, der zweite Zug geht aus die große Scheune los! Handgranaten 
werden heute noch ausgegeben! — Noch eine Frage?" Ich sah meine Zugführer an, 
kein Gesicht zuckte. „Wir wissen Bescheid, Herr Hauptmann!" Ich gab jedem die 
Hand, und sie verschwanden im Dunkel der Nacht. 
6 Uhr morgens begannen am nächsten Morgen die schweren Batterien zu feuern. Hoch 
über unseren Köpfen hörte man das Singen ihrer schweren Granaten, die durch die 
Dunkelheit in die feindliche Hauptstellung flogen. Ich hatte meine Uhr in der Hand. 
Rechts und links sah ich neben mir im Dunkeln die Reihen meiner Leute stehen. Hier 
und da blitzte ein Bajonett auf. Zitterten die Leute oder nicht? — Man sah es nicht, 
aber mancher wird seine Gedanken in diesem Augenblick dorthin geschickt haben', wo 
liebevolle Herzen sich um ihn bangten. — „Kerls, es ist gleich so weit, noch eine Mi 
nute! Los!" 
Die Kompagnie stürzte lautlos vor, aber fast in demselben Augenblick schon ging von 
drüben die Hölle los. Ein Feuer, wie ich es noch nie erlebt hatte, schlug uns entgegen. 
Das Knattern der Maschinengewehre verschlang die Hurrarufe meiner Leute, die todes- 
verachtend mit verzerrten Gesichtern vorwärtsstürmten. Hier fiel einer, dort überschlug 
sich ein anderer, und da drüben wälzte sich einer keuchend am Boden. Weiter! Weiter! 
Jetzt galt es nicht, an Tote, an Verwundete zu denken, jetzt galt nur ein einziger Ge 
danke: „Vorwärts!" Dort war der feindliche Graben! Sechs Meter noch! Ein furcht 
bares Krachen plötzlich, Sand und Eisenstücke überschütten uns. 
Handgranaten! Sofort warfen auch unsere Leute ihre Handgranaten in den Feind, 
und dann begann ein wüstes Handgemenge. Die Besatzung der Gräben ergab sich, doch 
an den Unterständen wütete der Nahkampf weiter. Der Reserveoffizier fiel am Eingang 
eines Unterstandes durch eine Handgranate, der junge Lehrer erhielt einen Herzschuß 
auf drei Schritt, als seine Pistole versagte. Ein Reservebataillon war inzwischen in 
unsere gelichteten Reihen eingeschoben und vollendete den Sieg. Ueberall stürzten uns 
die Russen mit erhobenen Händen entgegen und gaben sich gefangen. Alle Maschinen 
gewehre wurden erbeutet. 
Es dämmerte, und das blasse, fahle erste Tageslicht verdrängte die dunklen Schatten. 
Weiter ging es, durch das Dorf. Am jenseitigen Rande gruben wir uns ein. Hier 
und da flüsterten die Leute miteinander. „Du, der Leutnant ist gefallen, alle Zug 
führer!" „Lebt unser Korporalschaftsführer noch?" So flogen die Fragen hin und 
her. Genaues wußte keiner, das wußten ja nur die Krankenträger. 
Bis zum Abend blieben wir vorn, dann erfolgte die Ablösung, und die Kompagnie, 
sammelte sich weiter rückwärts. Die Nerven zitterten noch nach, man sah es in allen 
Gesichtern " 
* * * 
Ueber den gescheiterten russischen Vorstoß aus Kowno im Monat Mai 1915, der in 
der Darstellung des deutschen Großen Hauptquartiers nur kurz erwähnt wird (S. 38), 
berichtet der Kriegsberichterstatter des „Berliner Lokal-Anzeigers" ausführlich. Er er 
zählt: „Nach einer längeren, ziemlich flauen Gefechtsperiode an der Njemen- und
	        
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