Der flandrische Kriegsschauplatz
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schlugen der Länge nach hin, wie Riesen, von der Granate in den Wurzelbau getroffen
und hoch geschleudert. Sie wurden in der Mitte abgerissen. Ihre Kronen stürzten zer
splittert in das Feld, und so stehen sie noch. Kein Baum, der nicht seine Wunde hätte,
manche von oben bis unten zerfetzt. Die Allee hat sich tapfer geschlagen, die Allee von
Poelcapelle nach Saint-Julien. Eine Armee von Krüppeln steht an der Straße.
Die verlassenen Gräben sind mit allerlei Schutt angefüllt. Konservenbüchsen, Waffen
teile, zerweichte und unleserlich gewordene Briese. Ein blutiger Tuchfetzen, den einer
an die Wunde preßte, erblassend und zu Tode erschrocken. Sie sprechen eine grauenhafte
Sprache, und ihr Flüstern verfolgt mich. Es ist sehr still hier, und es hat den Anschein,
als ob die Stille sich über den Gräben verdichtete und über all den Dingen, die einst
Menschen gehörten. Ich wünschte wohl, sie kämen hierher, die drei hohen Herrschaften,
zu deren Ehren einmal so furchtbar laut geschossen wurde, sie kämen hierher und hörten
sich die Stille an. Vielleicht würden sie den süßlichen Geruch spüren, der aus den Gräben
steigt, vielleicht würde sich ihr Auge schließen vor all dem Grauenhaften, das der Schutt
in den Gräben deckt. Sie würden gehen und nun würden sie stolpern! Bei jedem Schritt
würden sie über Gräber stolpern. Gräber hier, Gräber dort. Franzosen, Schottländer,
Kanadier, Kolumbier, Farbige und Schwarze. Sie würden die Namen auf den Kreuzen
lesen. Sie würden die verstümmelte Allee hinabgehen, und links und rechts würden die
Kreuze ihnen folgen. Sie würden bei Saint-Julien die Massengräber sehen. Hier lagen
die Kanadier so dicht, daß die Fliegerphotographien aus 2000 Meter Höhe die Leichen
haufen zeigten. Nun würden sie begreifen, daß sie in einen Friedhof geraten sind, der
naß ist von Blut und Tränen."
Max Osborn hat das Dorf Lang emarck nach den schweren Maikämpfen besichtigt und
berichtet darüber in der „Vossischen Zeitung": „In Langemarck selbst ist, vom deutschen
Feuer, buchstäblich nicht ein einziges Haus verschont geblieben, nicht ein einziges noch irgend
wie bewohnbar, zum Quartier zu benutzen. Es ist ein Ort des Grauens. Mit satanischer
Phantasie hat der Krieg hier immer neue Variationen der Zerstörung erfunden. Die
Dächer zeigen ihr offenes, zerbrochenes Balkengerippe. Quer und krumm liegen ganze
Stockwerke. Ein Meer von Schutt und Geröll schäumt auf. Die Kirche sieht aus wie
die Ruinen der Caracalla-Thermen, so merkwürdig haben die Geschütze von den dicken
gotischen Gewölben ganze Bahnen herausgerissen und andere stehen gelassen, daß zackige
Lücken klaffen. Dicht dabei erzählen die Reste des Schlosses Langemarck vom Besitz des
Herrn dieser Gegend. Das kleine Schloß selbst, offenbar einst ein solid gebautes und gut
gehaltenes Haus, ist wie von einem Erdbeben in sich zusammengesunken. Zwischen un
übersehbarem Gerümpel, das ganze Zimmerräume füllt, liegen die zerfetzten Rechnungs
bücher des Besitzers; man erfährt daraus den Namen der alteingesessenen Familie:
Cotteau. An eine Türe haben die Franzosen, als sie Ende April 1915 Langemarck räumen
mußten, geschrieben: „Nom sommes partis.“ — Daneben schrieben unsere Leute: „Zu
deutsch: wir sind hinausgeworfen worden."
Und zwischen Schloß und Kirche liegt ein alter Park mit hohen Bäumen. Auch er
wird von tödlichen Streichen getroffen. Die Bäume aufgeschlitzt, der Boden erbarmungs
los aufgerissen und mit riesenhaften Granatlöchern besät, die wie mit einer Monstre-
drehscheibe ausgehöhlt scheinen; manche tragen noch die ekelhaften gelben Spuren der
englischen Schwefelbomben, die hier einschlugen. Noch heute fallen täglich solche Grüße
aus feindlichen Kanonenschlünden in das zerschmetterte Dorf.
Denn noch immer glüht und grollt der Kampf. Bei Tag und bei Nacht will der
zähe und tapfere Feind das nach monatelanger Vorbereitung Erstrittene den deutschen
Siegern streitig machen. Verzweifelt sind seine Anstrengungen — er beißt sich die
Zähne aus. Zu Hunderten und zu Tausenden fallen sie und geraten sie in deutsche