Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

160 Die Ereignisse an der Westfront von Mitte Januar bis Mai 1915 
tötung beabsichtigt ist, der niemand entrinnen kann. Und das ist ja auch der Grund 
gedanke der Haager Abmachungen: unnötige Grausamkeit und unnötiges Töten zu ver 
hindern, wenn ein milderes Außergesechtsetzen des Feindes genügt und möglich ist. 
Von diesem Standpunkt aus ist das Entwickeln von Rauchwolken, die sich bei schwachem 
Winde ganz langsam auf den Feind hin bewegen, ein nicht nur völkerrechtlich erlaubtes, 
sondern außerordentlich mildes Kampfmittel. Gibt es dem Gegner doch die Möglich 
keit, sich der Rauchwirkung zu entziehen. 
Wer die Zumutung, daß der Feind diesen Ausweg einschlagen solle, vom militärischen 
Standpunkt aus anstößig findet, dem sei entgegengehalten, daß es zu allen Zeiten als 
ein erlaubtes Kriegsmittel gegolten hat, den Feind durch künstlich verursachte Ueber- 
schwemmung seiner Stellungen zu deren Räumung zu zwingen. Was für ein grund 
sätzlicher Unterschied zwischen dieser kriegsmäßigen Anwendung des flüssigen Elements 
und der des gasförmigen bestehen soll, ist wirklich nicht recht einzusehen. Wer sich nicht 
entrüstet, ja nicht einmal gewundert hat, als unsere Gegner in Flandern die Gewalt 
des Wassers gegen uns zu Hilfe riefen, der hat auch keinen Grund, empört zu sein, 
wenn wir uns statt dessen die Luft zum Bundesgenossen machen und sie benutzen, um 
unseren Feinden betäubende Gase entgegenzutragen. 
Man wende nicht ein, daß dies dasselbe sei wie die Anwendung von Geschossen mit 
ausschließlicher Betäubungswirkung, die der Haager Konvention widerstreite. Was die 
Konvention verhüten wollte, war die unentrinnbare Massenvernichtung von Menschen 
leben, die zustandekommen würde, wenn man Geschosse mit giftiger Gaswirkung in 
Menge über den wehrlosen Feind herniederhageln ließe, der sie nicht kommen sähe und 
ihnen deshalb auch rettungslos preisgegeben wäre. Die bloße Ausübung eines Zwanges 
zum Verlassen der Kampfstellung, wie sie unseren Gasentwicklern eigen ist, läßt sich 
damit gar nicht vergleichen." 
In seinem Blatt „La Guerre Sociale" macht sich selbst Gustave Heros über die Ent 
rüstung seiner Landsleute wegen der Verwendung von Gasbomben durch die deutschen 
Truppen lustig und schreibt: „Es liegt ein Stück Heuchelei in der tugendhaften Entrüstung, 
die man gegen die Verwendung dieser Rauchgase zur Schau trägt. Als im August 1914 die 
Deutschen auf Paris marschierten und die tollsten Nachrichten durcheinander wirbelten, 
erinnert man sich nicht, welch unglaubliche Geschichten da über Turpinpulver umliefen? 
Man erzählte sich mit Entzücken die mörderischen Wirkungen, welche die Erstickungsgeschosse 
des berühmten Erfinders erzielt hätten. „Ja, mein Verehrter, 70000 Deutsche sind einfach 
erstickt worden; ganze Regimenter blieben infolge Erstickung auf der Strecke!" Welche 
Strafe wäre auch zu schrecklich gegen Leute, die euch plötzlich überfallen. Ich erinnere 
mich dessen sehr wohl: niemand erhob damals Einspruch. Es war jedoch nur eine un 
heilvolle Riesenente. Als man aber an die Wunder des Erstickungspulvers Turpin 
glaubte, da war Turpin der Retter. Weshalb will man also das törichte Geschrei oder 
die Heuchelei soweit treiben, es niederträchtig zu finden, daß die Deutschen mit einem 
neuen Pulver herauskommen, das im Vergleich mit dem Turpin, das wir in der 
Stunde höchster Angst für uns zu Hilfe riefen, harmlos wie der heilige Johannes zu 
sein scheint? In meinen Augen hatte das Turpin nur einen Fehler, den nämlich, daß 
es nur in den wahnwitzigen Einbildungen bestand, die durch den niederschmetternden 
Einfall vom August 1914 hervorgerufen worden waren. Anstatt den Deutschen die 
Verwendung erstickender Rauchgase zum Vorwurf zu machen, sollten wir lieber uns selber 
den Vorwurf machen, daß wir uns in diesem Kriege wieder einmal von dem Erfinder 
und Organisationsgenie unseres Feindes überflügeln ließen. Es ist immer dieselbe Ge 
schichte mit den Erstickungsgasen wie mit allem übrigen: Sie sind es, die Neues bringen, 
während wir und unsere Verbündeten uns im alten Schlendrian weiterschleppen."
	        
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